Posts mit dem Label Kastration werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Kastration werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Sonntag, 14. Mai 2023

Eine Extraportion Glück

Jede Arbeit ist eine sich ständig wiederholende Aufgabe, die niemanden wirklich voranbringt
Bemerkenswert ist, dass Werte damit nicht nur ein Gemeinschaftsgefühl darstellen, sondern emotional auch erzeugen können. Unter Umständen verbinden sie Menschen direkt körperlich. Denn es ist bekannt, dass gemeinschaftliche Musikerlebnisse oder intensive Gebete zu übereinstimmenden Herzfrequenzen führen können. Eine Gruppe von Menschen wird zeitweise zu einem Organismus. Das hat weitreichende Konsequenzen.

Die Erwachsenenwelt gilt als spießig

Werte sind ein Bindeglied zwischen Menschen. Ein sehr tiefgreifendes. Sie beeinflussen unseren Alltag ebenso, wie unser Zusammenleben. Werte machen eine Gesellschaft erst möglich. Dennoch - oder gerade deshalb - wird ständig um sie gerungen. Denn das Individuum machte zwar die Vorteile der Gemeinschaft nutzen, gleichzeitig sich aber nicht all ihren Werten unterordnen. Dadurch entstehen Ungleichheiten. Manche können eher nach ihren Vorstellungen leben als andere. Meist ist es eine Frage von Mittel und Einfluss.

Es gibt zahlreiche gesellschaftliche Inseln, auf denen spezifische Werte oder aber Zusatzwerte gelten. Clubs zum Beispiel, natürlich die eigene Wohnung und sicherlich auch Freundeskreise. Doch spielen auch dort die gesellschaftlichen Werte hinein. Jugendliche betrachten die Erwachsenenwelt genau aus diesem Grund gerne als spießig. Sie werfen ihr vor, gerade keine wertfreien Zonen zu haben. Überall gelten einengende Werte.

Dabei lässt sich zu Recht fragen: Was machen Jugendliche denn anderes? Weshalb glauben sie, weniger spießig zu sein? Zum einen, weil sie jung sind und ihr gesamtes Leben noch vor sich haben. Darüber hinaus, weil sie kaum etwas verlieren können. Aus diesen beiden Gründen verfügen sie zum Teil über andere Werte, vor allem aber über ein anderes Wertverständnis. Sie wissen noch nicht, wie Erwachsene in der Gesellschaft funktionieren. Dadurch genießen sie Freiheiten, die sie auf die Spießer herabblicken lassen, die diese Freiheiten nicht mehr haben. In gewisser Weise haben Jugendliche das Gefühl, ewig zu leben. Das gibt ihnen die Kraft, sich Rechte von der Gesellschaft zu nehmen und durchzustarten.

Menschen wollen glauben, ihr Glück selbst in der Hand zu haben

An welchem Punkt geht ihnen dieser Schwung verloren? Schuld ist diesmal nicht der notwendige Lebensunterhalt allein. Er wird begleitet von hormonell körperlichen Veränderungen. Mit anderen Worten: Jugend wird erwachsen und hat andere Bedürfnisse. Die meisten Menschen möchten Familie, Eigentum und Sicherheit. Damit verbinden sie Erfolg und Erfolg wird mit Glück gleichgesetzt. Doch ist das richtig?

Nach den Erkenntnissen von Wissenschaft und Forschung ist auch Glück ein körperlich bedingtes Gefühl. Einige Menschen scheinen ein stärkeres Glücksgen zu haben als andere, sich dadurch entsprechend glücklicher zu fühlen - und zwar in jeder erdenklichen Situation. Wohlstand oder gar Reichtum scheinen dagegen eine eher untergeordnete Rolle bei dem Empfinden von Glück zu spielen. 

Weshalb jagen die Menschen dann ständig nach Glück und sind anfällig für die entsprechenden Versprechen von Unternehmen mit ihrem vielschichtigen Marketing?

Sie wissen es nicht besser und wollen glauben, dass sie ihres eigenen Glückes Schmied sind. Das ist ein zentrales Versprechen der Werte: Wenn ihr uns folgt, verschaffen wir euch eine Extraportion Glück. Ein nicht ganz unsinniges, aber übertriebenes Versprechen, das letztlich aus jugendlichen Rebellen langweilige Spießer macht.

Richtig ist: Ein ethisches Handeln nach den Werten der Gesellschaft kann ein Glücksempfinden auslösen. Jeder kennt vermutlich das tolle Gefühl, das sich nach einer guten Tat einstellt. Auch wenn es schnell wieder abflaut, gibt es den Menschen doch einen positiven Kick und weckt den Wunsch, dieses Gefühl möglichst schnell und möglichst oft zu wiederholen. Eine Falle, in die jeder Mensch bereitwillig tappt. Nicht, dass gute Taten schlecht sind, aber eine interessante und neue Idee, die unter Umständen allen Werten widerspricht und die Gesellschaft in Frage stellt, löst wahrscheinlich ein ähnliches Glücksempfinden aus. Es ist nicht die Orientierung an Werten, die Glück schenkt, sondern das Handeln nach dem eigenen Ich.

Der Kniff der Gesellschaft

Deshalb macht die Gesellschaft viele Menschen krank. Sie laufen der Erfüllung von Werten hinterher, die ihnen nicht entsprechen, aber von ihnen verlangt werden. Zum Beispiel der Rhythmus der Tage: Eine Menge Menschen sind eher Spätaufsteher, müssen aber trotzdem meist früh anfangen. Schon die Schule verlangt einen Beginn pünktlich um acht Uhr morgens. Zu zeitig für einen Großteil der Schüler (und auch viele Lehrer).

Doch statt Rücksicht zu nehmen, gaukelt die Gesellschaft Normalität vor. Umgekehrt: Wer ihre Vorgaben nicht erfüllt, ist nicht normal. Fatal für den Einzelnen, weil Normalität ein hoher Wert zugemessen wird. Noch so ein Mechanismus, der den rebellischen Jugendlichen zum angepassten Erwachsenen erzieht (oder Jugendliche erst gar nicht zu Rebellen werden lässt). Das beginnt bereits in der Schule. Zu diesem Zweck wurde beispielsweise die zuvor unbekannte Krankheit ADS (Aufmerksamkeit Defizit Störung) erfunden. Es bedurfte einer Schublade für auffällige Kinder. Samt zugehöriger Behandlung mit Medikation. Eine wiederkehrende Praxis, mit der die Gesellschaft nicht nur missliebige Mitglieder stigmatisiert, behandelt und in ihrem Sinne „heilt“, sondern zusätzlich daran verdient, indem sie einen Ablauf in Gang setzt, der auffällige Menschen zu einer vorgegebenen Normalität führt. Bekannt ist die Diagnose von tausenden unfügsamer Frauen im 19. Jahrhundert als „hysterisch“ mit anschließenden brachialen Behandlungen bis zu Elektroschocks. Ähnlich erging es homosexuellen Männern noch bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein, die zum Teil im Namen der Normalität chemische Kastrationen über sich ergehen lassen mussten. Denn Homosexualität galt bereits im Deutschen Reich von 1871 als Straftat. Die junge Bundesrepublik hatte die Verschärfung des Gesetzes durch die nationalsozialistische Justiz kritiklos übernommen. Das führte zum Beispiel im Frankfurt der 1950er Jahre zu einer regelrechten Hexenjagd, bei der Betroffene bewusst an ihren Arbeitsplätzen verhaftet wurden, um sie gesellschaftlich zu diskreditieren. Existenzen wurden im Namen des Rechts zerstört. Zahlreiche junge Männer begingen Selbstmord. Bei solchen Aussichten vergeht rebellischen Jugendlichen natürlich schnell die Rebellion. Exemplarisch auf die Spitze getrieben in Stanley Kubricks Drama „Clockwork Orange“ aus dem Jahr 1971. 

Der Kniff der Gesellschaft ist, das Individuum vorgeblich zu seinem Glück zu führen. Nicht ganz zufällig heißt dieses Glück Anpassung. Denn wer die anderen nicht nervt, ist wohlgelitten. Selbstverständlich gibt es einen gewissen Spielraum. Wie schon beschrieben, braucht die Gesellschaft Impulse von Visionären und Querdenkern. Da die meisten Menschen aber nur höchstens eine große Sternstunde in ihrem Leben haben, werden sie danach in die Kolonne der Gesellschaft eingegliedert und die Reihen schließen sich um sie herum.

Dieser Mechanismus ist so alt wie die Gesellschaft selbst. Zumindest seit der Entstehung von Siedlungen und Städten bedurfte es vieler kritikloser Arbeiter und nur weniger Denker. Die Masse musste mit dem zufrieden sein, was ihr zugewiesen wurde und sie sollte sich bedingungslos an die Regeln halten. Anders konnte die neue Form des menschlichen Zusammenlebens nicht funktionieren. Manche murrten, vereinzelt gab es Aufstände, aber größtenteils hielten sich die Menschen an ihre Rolle als Masse. Vor allem, weil sie an die Mythen der Staaten und Religionen glaubten. Damit vertraten sie auch deren Werte. Die Werkzeuge zur Anleitung der Masse gingen Hand in Hand.