Mittwoch, 7. Februar 2024

Emotionale Meinungsbildung

In der Gesellschaft gibt es kaum sinnvolle Auseinandersetzungen, sondern eher einen Schulterschluss von Medien, Wirtschaft und Politik.
Lassen sich die Werte eines Staates als die Gesamtheit aller Werte seiner Bürger definieren? Sicherlich nicht. 

Orte der Arbeit

Aber wie in einer Demokratie jeder Wahlberechtigte über eine Stimme verfügt, so kann auch jeder Mensch seine ureigenen Werte in der Gesellschaft zur Diskussion stellen. Das geschieht über Familie, Freunde, Gruppen, Vereine, Parteien und Organisationen. Jedes öffentliche Verhalten spiegelt Werte wider und legt sie auf diese Weise anderen nahe. Ein großer Multiplikator von Werten sind selbstverständlich Orte der Arbeit, an denen viele Menschen täglich zusammenkommen. Dort prägt das eigene Verhalten die Atmosphäre mit, in der Arbeit stattfindet. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang Medien, deren Reflektionen Werte bei jedem Beitrag gewichten und verbreiten. Dabei transportieren sie die Werte ihrer Mitarbeiter, Nutzer, Eigentümer und Objekte der Berichterstattung. 

Freiwillige Gleichschaltung der Medien

Gerade die klassischen Medien durchleben aktuell einen großen Wandel. Sie verlieren ihre Stellung als zentrale Instanz der Meinungsvielfalt – oder als sogenannte vierte Gewalt im Staat. Denn die Sozialen Medien laufen ihnen den Rang ab. Dabei waren bereits gedruckte Zeitungen ein flüchtiges Gut. Nachrichten kamen und gingen. Immerhin wurde manche Debatte in den Medien ausgefochten. Meinungsbildung war allerdings schon immer ein wirtschaftliches Produkt und als solches den Bedingungen des Marktes unterworfen. Manche Anzeige wurde aus Unmut über die Berichterstattung zurückgezogen und meist knickten die Medien ein, sobald große Unternehmen Konsequenzen zogen. Prominente Anzeigenkunden durften mit wohlwollender Berichterstattung rechnen. Hinzu kam die zunehmende Konzentration der Verlage. Die Macht der Medien lag nur noch in wenigen Händen. Auch Fernsehen und Rundfunk hinzugerechnet, blieb von der vielgerühmten Presse- und Meinungsfreiheit nicht mehr viel übrig. Zu sehr orientierte sich die Medienlandschaft angesichts der Macht weniger Konzerne auf die kommerziellen Aspekte ihres Daseins. Ihren Bildungsauftrag vernachlässigte sie mehr und mehr zugunsten schlichter, aber lukrativer Unterhaltung. Experimente beschränkten sich darauf, mit möglichst wenig Einsatz die höchsten Einnahmen zu erzielen. Selbst Nachrichtenmagazine vermittelten seit Mitte der 1990er Jahre mit Aufkommen des sogenannten Infotainment Meldungen nur noch häppchenweise, mit vielen bunten Grafiken und Bildern garniert. Natürlich gab und gibt es Ausnahmen. Doch spätestens mit der weitgehend unkritischen Berichterstattung zur Pandemie und den einschränkenden Maßnahmen, die wie eine freiwillige Gleichschaltung der Medien wirkte, zeigt sich die eher staatstragende als kritische Funktion der vierten Gewalt. Gerade als Werte bildende Instanz hat sie in Zeiten der Krise vollkommen versagt. Die Vermutung liegt nahe, Ursache sei ihre vor allem wirtschaftliche Ausrichtung als Medienunternehmen. Es lässt sich nicht leugnen, dass sie im eigenen Interesse die Konsumorientierung der Menschen fördert und Teil der Kulturindustrie ist. Demnach verfolgt sie eher ihre eigenen Interessen, die primär darin bestehen, einen verlässlichen Staat mit kaufkräftigen Kunden zu unterstützen. Es gibt kaum Auseinandersetzungen zu kritischen Themen. Zu beobachten ist eher ein Schulterschluss von Medien, Wirtschaft und Politik. Der zentrale Wert, der auf diese Weise vermittelt wird, ist die Beachtung des eigenen Vorteils. Niemand in der Medienlandschaft stößt eine ernsthafte Debatte unter anderem über deutsche Kriegsbeteiligungen, den schleichenden Niedergang des Landes, das Scheitern der Integration und die Bevormundung durch Minderheiten an. Keiner fahndet nach Ursachen für das Erstarken des Extremismus.

Werte müssen keine positiv besetzten Eigenschaften haben

Eine Auseinandersetzung mit diesen Themen wird inzwischen an anderen Orten geführt. In den Sozialen Medien, die von Menschen befeuert werden, denen politisch korrekte Sprache ein Gräuel ist. Sie posten rundheraus ihre Wut, finden Publikum und beeinflussen damit das Denken im Land. Das ist keine professionelle Meinungsbildung, sondern eine emotionale. Behauptungen werden aufgestellt, Meinungen vertreten und auf Hintergrundinformationen meist verzichtet. Es geht nicht darum, abzuwägen, offen zu diskutieren und zu gemeinsamen Schlussfolgerungen zu gelangen. Ziel ist es, zu Polemisieren und andere von der eigenen Meinung zu überzeugen, Hetze eingeschlossen. Das Versagen der deutschen Gesellschaft, Werte zu schaffen und ihre Bürger von ihnen zu überzeugen,  wird hier sehr deutlich vor Augen geführt. In den Sozialen Medien sind diejenigen besonders aktiv, die sich nicht mehr zugehörig fühlen – und es werden mehr. Der kollektive Strom malt auch dort. Er bringt Werte wie Deutschtum, Nationalismus, Antisemitismus, Gewaltverherrlichung, Totalitarismus, Militarismus und einiges mehr hervor. Und ja, auch das sind Werte, die in einer gewissen Art von Gesellschaft oberste Priorität haben können. Wir nehmen sie nur nicht unbedingt als Werte wahr, weil das Wort „Wert“ zumeist mit positiv besetzten Eigenschaften assoziiert wird. Doch wie auch „Gut“ und „Böse“ nicht eindeutig definiert werden können, lassen sich auch Werte nicht allein der „hellen“ oder „dunklen“ Seite der Macht zuordnen. Werte sind, was Menschen als solche anerkennen.

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