Mittwoch, 14. Februar 2024

Die Krise der westlichen Werte

Chaos in einem fiktiven Plenarsaal, durch den ein Reiter mit einem Pferd jagt und überall Rauch quillt.
Das führt zu den sogenannten westlichen Werten. Im Kalten Krieg schlossen sich Teile Europas mit den Vereinigten Staaten und weiteren Partnern zu einer Allianz zusammen. Im Kern ein militärisches Bündnis, verband die Staaten aber auch der gemeinsame Kapitalismus sowie ein recht konformes politisches und kulturelles Selbstverständnis. Vor allem christliche Werte boten dafür einen Orientierungsrahmen, auf den sich die Staaten weitgehend verständigen konnte. Die Klammer lieferte der Kampf gegen den Kommunismus, der im Wesentlichen jedoch ein Wettlauf um Ressourcen, besonders um Öl war. Werte wurden im großen Stil über die Kultur- insbesondere die Filmindustrie vermittelt. Das Massenmedium Fernsehen trug stark dazu bei, den Menschen ein weitgehend einheitliches Denken nahezubringen. Das geschah nicht durch staatlich gelenkte Propaganda, sondern durch die Macht des Marktes, die ein Gespür dafür entwickelte, Konsumenten auf die richtige Weise anzusprechen, um ihre Massenwaren abzusetzen. 

Das Aufblühen des Westens schuf eine neue Art von Kolonialismus

Weil die westlichen Werte anscheinend funktionierten, zogen die meisten Menschen mit. Sie mussten sich nur verpflichten, fleißig zu arbeiten und die staatliche Autorität nicht in Frage zu stellen. Im Gegenzug erhielten sie einen bisher nicht gekannten Wohlstand. Ein Deal, der einfach und verständlich genug für die Masse war. Doch er beinhaltete einige kleingedruckte Absätze, die zwar kaum jemand zur Kenntnis nahm, die jedoch trotzdem wichtig sind, um das Dilemma der heutigen weitgehend wertefreien Gesellschaft zu verstehen. Das bewusst Kleingedruckte schloss Menschen außerhalb der westlichen Welt von den Werten der kapitalistischen Industrieländer aus und erlaubte ihre Ausbeutung oder verschloss zumindest die Augen davor. Es besiegelte einen Pakt, dass der Wohlstand eines Teils der Menschheit auf Kosten des anderen Teils entstehen darf. Schlimmer noch: Dass alle Kämpfe des Kalten Krieges auf dem Rücken dieser Ausgeschlossenen ausgetragen werden. Das erneute Aufblühen des Westens ermöglichte eine neue Art von Kolonialismus. Nach außen autonome Staaten wurden in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit gehalten, die notfalls auch militärisch durchgesetzt werden konnte, während die westliche Bevölkerung an freundschaftliche Beziehungen zu diesen Ländern glaubte. Medien bestärkten diesen Glauben durch ihre recht unkritische Berichterstattung. 

Der Staat konnte nicht mehr unumwunden agieren

Die westlichen Werte galten also nur bis an die Grenzen des Bündnisses. Darüber hinaus herrschte in weiten Teilen der Welt Chaos und Gewalt. Offensichtlich und beispielhaft steht dafür der Krieg in Vietnam. Die Vereinigten Staaten waren sich damals ihrer Stärke auch als führende Kulturnation dermaßen sicher, dass sie eine kritische und weitgehend objektive Berichterstattung über die jahrelange Kämpfe zuließen. Das Ergebnis war ein Aufschrei in der westlichen Welt, der erstmals sehr drastisch vor Augen geführt wurde, mit wieviel Blut ihr Wohlstand tatsächlich erkauft wurde. Die Revolten der sogenannten 1968er brachen los und forderten ein Umdenken. In Deutschland setzte ein langsamer Prozess des Wertewandels ein, auch wenn die Demonstranten zunächst gewaltsam auseinandergetrieben wurden. Der Staat reagierte mit ohnmächtiger Wut auf das Ansinnen, Veränderungen einzuleiten. Teile der Aktivisten wiederum radikalisierten sich daraufhin, um ihre Ideen gegen staatliche Gewalt durchzusetzen. Der kollektive Strom wurde von der Polarisierung der Gesellschaft angetrieben. Einmal aufgebrochen, verlor die staatliche Autorität zunehmend an Einfluss, auch wenn sie sich mit schärferen Gesetzen dagegen zur Wehr setzte. Weitere Kräfte setzten dem angeschlagenen Staat zu: Frauen forderten Gleichberechtigung und ein Recht auf Abtreibungen, Menschen wehrten sich gegen die Speicherung ihrer Daten, Atomkraft und die Stationierung von Atomwaffen und es sprossen sogenannte „Dritte Welt Projekte“ aus dem Boden. Der Staat konnte nicht mehr so unumwunden agieren, Werte verschoben sich, doch war das Engagement der Bevölkerung hauptsächlich auf ihre eigene Situation bezogen. Die westlichen Staaten lebten auch weiterhin auf Kosten anderer Menschen und Nationen. Obwohl das Volk durchaus kritischer dachte. Die Mühlen des kollektiven Stroms malen langsam. Gesellschaftliche Kräfte aus dem gesamten politischen Spektrum brachten sich teils offen, teils verdeckt in Stellung und warteten darauf, dass ihre Zeit anbrach.

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