Nur drei Grundwerte
Der Gedanke liegt nahe, dass Macht ein eigener Wert sein könnte. Doch ist sie Teil der rechtlichen und ethischen Grundlage des Zusammenlebens? Eher lässt sich sagen: Macht erschafft Recht und Regeln, dadurch formt sie unter anderem ethische Grundlagen. Sie ist ein vielschichtiges Konzept etwas zu tun und zu beeinflussen, ein eigener Wert ist sie nicht. Vielmehr dient sie dazu, Werte zu formen und zu erhalten. Denn Werte sind die Konstanten einer Gesellschaft und verbreiten sich seit tausenden von Jahren von Generation zu Generation in der menschlichen Geschichte, während Macht stets in geringen Abständen auf ein Neues vergeben wird. Ähnlich wie Bürokratie das eigentliche Zentrum der Macht im Staat darstellt, errichten Werte das fundamentale Gerüst des Zusammenlebens. Ohne sie könnten Menschen nicht dauerhaft kooperieren und sich weiterentwickeln. Dazu bedarf es insgesamt nur dreier Grundwerte:
1. Der Mensch muss sein Überleben sichern
2. Der Mensch muss das Überleben seiner Gruppe sichern
3. Innerhalb der Gruppe muss der Mensch seinen genetischen Einfluss sichern
Alle anderen Werte leiten sich von diesen drei Grundwerten ab.
Jonglieren mit der Masse an Normen
Wer sich an die Regeln der Robotik von Isaak Asimov erinnert fühlt, liegt damit nicht verkehrt. Die Prinzipien des Zusammenlebens sind, ähnlich naturwissenschaftlicher Gesetze, in ihrer Grundstruktur einfach und elegant. Kompliziert wird die menschliche Gesellschaft erst durch Wachstum und die Welt der Dinge, die sich nach und nach aufbaut, ähnlich der Probleme, die sich in der Mathematik durch das Rechnen mit Unendlichkeiten ergeben. Es gelten plötzlich andere Voraussetzungen.
Je mehr Menschen zu einer Gruppe gehören, desto weiter müssen sich Werte verzweigen, damit die Grundwerte überhaupt noch erfüllt werden können. Ein klassisches Beispiel für die Differenzierung von Werten sind die zehn Gebote. Aber auch die Gesetzestafeln des Hammurabi zeigen, wie kleinteilig Werte schon in frühen Zivilisationen werden, sobald größere Gruppen und ganze Gesellschaften entstehen. Sogar eine Strafe für das Pantschen von Bier wurde im Kodex Hammurabi geregelt. Heutige Gesetze enthalten tausende von Paragraphen. Ungeschriebene Wertvorstellungen und Kodizes kommen noch hinzu. Interessanterweise jonglieren die meisten Menschen im Alltag mit der Masse an Normen recht geschickt.
In den Grundwerten sind die Kämpfe der Menschheit angelegt
Von Klein auf sind sie damit konfrontiert und erlernen Verhaltensmuster über Eltern und Umwelt. Auf Anpassung folgt Lob, auf Abweichung Strafe. So verinnerlichen die Menschen Werte, denen sie sich unterwerfen – oder freundlicher formuliert: Von denen sie sich in ihrem Leben leiten lassen. Dabei erleben sie die Werte als unveränderlich und arrangieren sich mit ihnen. Später erstaunt es sie, wenn sie auf andere Lebensweisen stoßen. Oft führt das Aufeinandertreffen zu Konflikten, vornehmlich zwischen verschiedenen Generationen und Kulturen. Dabei sind die Grundwerte für alle Menschen vollkommen identisch. Doch ihre Ausprägungen unterscheiden sich mitunter massiv. Darin besteht der Konflikt zwischen Menschen anderen Glaubens, anderer Nationalität und anderer Gesinnung: Werte werden unterschiedlich gedeutet, gelebt und ausgelegt. Dabei verweisen sie auf den Kampf des Individuums und seiner Gruppe um Ressourcen. Denn Überleben und genetischer Einfluss lässt sich nur mit ausreichend Energie sichern. So sind in den Grundwerten bereits die Kämpfe der Menschheit angelegt – und auch der Geltungsbereich der meisten Werte. Sie werden eben nur auf das Zusammenleben in der Gruppe angewendet. Für das Zusammentreffen mit anderen Gruppen gelten erweiterte Werte, beispielsweise das Gastrecht. Dabei gilt: Je besser es einer Gruppe geht, desto geneigter ist sie, Fremde aufzunehmen und zu bewirten. Werte sind ein Phänomen des Wohlstandes und bröckeln beim kleinsten Verfall. Am ehesten spüren das Menschen außerhalb einer Gruppe. Letztlich geht es alleine um die Verteilung von Ressourcen, die auch durch den Rückgriff auf Werte geregelt wird. Denn entscheidend ist einzig das Überleben des Einzelner, der Gruppe und der genetischen Informationen.