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Sonntag, 20. November 2022

Sonntag

 

Menschen hetzen mit Einkaufstaschen eine Straße entlang, vermutlich an einem Sonntag
Der Existenzialismus hat über Aprikosen-Cocktails philosophiert. Weshalb also nicht über den Sonntag nachdenken? 

Was macht diesen Wochentag besonders? Abgesehen von seiner religiösen Bedeutung, die für die meisten Menschen sowieso keine Rolle mehr spielt. Ist es nur die Abwesenheit von Arbeit?

Nein, es ist die Abwesenheit von fast allem. Das Leben reduziert sich auf die Frage, welche Brötchen zum Frühstück die richtigen sind. Es gibt keine Post, weniger Anrufe und kaum Anforderungen. Keine Entscheidungen sind zu treffen. Jedenfalls keine von Bedeutung. 

Das genau macht den Sonntag zu einem besonderen Tag in der Woche. Er bremst das Gehirn.

Zeit zum Konsumieren

Umso bedenklicher die gesellschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre. Geöffnete Läden, ausgedehnte Arbeit, keine Ruhe. Wirtschaft und Gesellschaft zwingen die Menschen, auch  am Sonntag folgenschwere Entscheidungen zu treffen. Davon ausgehend, dass sie an diesem Tag besonders viel Zeit haben.

Die Frage ist: Zeit wofür? Bestimmt nicht für die Werbeanrufe eines Call Centers. Die nerven. Für Familie, für Hobbys? Nein, Zeit für das Lagerfeuer. Hinein starren und im Widerschein das eigene Leben finden. Kein Witz. Über Jahrtausende hat das funktioniert. Lagerfeuer und Geschichten. Inspirierend.

Heute löst das eher ein schlechtes Gewissen aus. Es ist nicht produktiv. Kein Kümmern um Kinder und Enkel. Kein Haushalt. Keine Gartenarbeit. Keine sozialen Beziehungen.

Halt, stop! Natürlich ist das Starren ins Lagerfeuer ein sozialer Akt. Schließlich starrt niemand allein. Jeder ist zwangsläufig ein soziales Wesen, der nicht im Umkreis von mindestens einem Kilometer allein lebt.

Allerdings entspricht das nicht dem dem Denken der heutigen Zeit. Ein sozialer Mensch ist nur derjenige, der nützlich ist, der produziert und konsumiert. Und sei es das Backen und Kochen für die Familie. 

Genau das ist das gesellschaftliche Problem von Sonntagen: Es wird zu wenig produziert und konsumiert. Weshalb es die verkaufsoffenen Sonntage gibt sowie die offenen Geschäfte an Bahnhöfen, Flughäfen und in Orten des Tourismus. Ausnahmen über Ausnahmen.

Der Sonntag ist heilig. Ha! Der Sonntag steht zur Disposition.

Die Menschen wollen mehr Möglichkeiten zum Konsum

Das entspricht der Entwicklung der Gesellschaft. Schließlich kann jeder auch an Sonntagen shoppen gehen. Weshalb dann nicht in Einkaufszentren und Ladenzeilen?

Der Sonntag löst sich als Ruhetag, als Tag der Entscheidungsfreiheit auf. Das ist bedauerlich. 

Was also bleibt vom Sonntag? Nichts, außer einem für viele arbeitsfreien Tag, der sich perfekt eignet, um zu konsumieren. 

Ist es wirklich das, was die Menschen wollen? Anscheinend, ja. Es steckt ihnen sozusagen im Blut: Früher war das Konsumieren in Form von Sammeln und Jagen lebensnotwendig - und das ist es für die Masse der Menschen noch immer. Im übertragenen Sinn, natürlich.

Wobei ein kleiner Prozentsatz tatsächlich erforderlich ist - unter anderem der Einkauf von Lebensmittel und Hygieneartikeln sowie die Grundausstattung zum Wohnen und Kleiden. Das meiste darüber hinaus dient der Befriedigung imaginärer Bedürfnisse, die von Marketingabteilungen erzeugt werden.

Zurück zum Sonntag. Wäre es nicht großartig, auch das Konsumieren ruhen zu lassen? Einen Tag in der Woche kein Geld auszugeben und vom Marktteilnehmer, vom Konsumenten zum einfachen Menschen zu werden?

Doch genau das wird nicht geschehen. Im Gegenteil. Die Menschen werden gerne annehmen, wenn noch mehr Möglichkeiten zum Konsum am Sonntag geschaffen werden.

Sogar orthodoxe Juden suchen nach Schlupflöchern im biblischen Verbot, am Sabbat zu arbeiten. In der Nähe von Jerusalem wurde schon vor Jahrzehnte das Zomet-Institut gegründet, das Arbeitsleistungen von technischen Geräten und die Auslegung des Talmud zusammenbringt. Damit auch am Sabbat zum Beispiel telefoniert werden darf.