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Sonntag, 19. November 2023

Die Herrschaft des Verwaltungsstabes

Im Verwaltungsapparat dient der einzelne Menschn als Zahnrad im Getriebe des Systems, das die Demokratie unterläuft.
Es sind Abwehrmechanismen gegen Eindringlinge, die in eine ihnen fremde und nicht zugestandene Gruppe streben, denen sich die Mitglieder dieser aus ihrer Sicht in Gefahr befindlichen Gruppe bedienen. Vorurteile und Beschuldigungen machen Stimmung gegen alles Fremde und schließen die eigenen Reihen fester zusammen. Die Menschen sehen sich als Bewahrer ihrer Werte und Kultur, die plötzlich wichtiger werden, als sie über lange Zeit waren. „Wer unsere Werte nicht einhält und unsere Kultur nicht lebt, gehört nicht zu uns“, sagen sie und verschanzen sich hinter Regeln, die ihnen nur vor kurzem lästig waren. Nun gelten sie als Zugehörigkeitsnachweis, mit dem die Menschen Besitz schützen und Bestand wahren. 

Der Bürokrat funktioniert im Sinnes des Systems

An diesem Punkt kommt die Bürokratie wieder ins Spiel. Sie ist die Instanz, mit der größten Kontinuität innerhalb einer Gesellschaft. Wahlen gehen spurlos an ihr vorüber und Umbrüche prallen meist an ihr ab. Selbst nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes blieb die Bürokratie weitgehend intakt. Jede Herrschaft äußert sich als Verwaltungsapparat. Schon der deutsche Soziologe Max Weber sah die Keimzelle des Staates in der Bürokratie, auf die der moderne Großstaat „technisch schlechthin angewiesen ist“. Sie überführe Gemeinschaftshandeln in rational geordnetes Gesellschaftshandeln. Dabei erkennt Weber bereits die Gefahr ihrer Verselbständigung zum „stahlharten Gehäuse der Hörigkeit“. Er warnte explizit vor der „Herrschaft des Verwaltungsstabes“, sah aber in der Bürokratie dennoch die einzige Form, langfristig Überleben sicherzustellen. Die gnadenlose Effizienz von Bürokratie erlebte Max Weber, der im Juni 1920 starb, nicht mehr. Es blieb der Philosophin Hannah Arendt vorbehalten, darin die „Banalität des Bösen“ zu erkennen. Mit Adolf Eichmann beobachtete sie einen exemplarischen Vertreter der Bürokratie während seines Prozesses 1961 in Jerusalem, der sich darauf berief, mit der logistischen Durchführung von Judentransporten im Sinne des nationalsozialistischen Staates und der damals geltenden Gesetze nichts Unrechts getan zu haben. Nach Hannah Arendt war Eichmann ein ganz und gar durchschnittlicher Mensch, der seiner Aufgabe höchst gewissenhaft nachkam und sich über die Auswirkungen seines beruflichen Handelns keinerlei Gedanken machte, da er sich in Übereinstimmung mit Recht und Ordnung sah. Der Bürokrat hinterfragte nicht Staat und Gesellschaft, sondern funktionierte im Sinne des Systems. Schlimmer noch: Als Teil des Verwaltungsapparates ermöglichte er überhaupt erst - Hand in Hand mit tausenden anderen Bürokraten - einen funktionstüchtigen Staat. Dabei spielt es keine Rolle, wieviel Eigeninitiative Eichmann an den Tag legte, denn er arbeitete als Teil einer Maschinerie, die Kraft ihrer Existenz Ergebnisse produzierte. Sobald sich ein Mensch in vorgegebene Strukturen begibt und sich fest mit ihnen verbindet, verliert er seine Eigenständigkeit. Ihm bleibt nur die Wahl, sich zu arrangieren oder auszutreten. Wer vom System überzeugt ist, wird sich darin engagieren, kritischer eingestellte Mitarbeiter gehen vielleicht dazu über, Dienst nach Vorschrift zu leisten. Doch jeder trägt auf seine Weise zur Funktion sowie zum Erhalt und Ausbau der Maschinerie bei. Das „Böse“ eines Systems wird genährt von den kleinsten Zahnrädchen, die funktionierend ineinandergreifen. 

Natürlich stellt sich an dieser Stelle die Fragen: Weshalb das „Böse“ und nicht das „Gute“?