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Mittwoch, 11. Januar 2023

Online schaltet der Mensch eine Instanz zwischen sich und die Welt

Menschen stehen im Kreis um einen Mittelpunkt und verstehen nicht, weshalb sie ihn umkreisen
Das grelle, brodelnde Leben

Wer sind wir im digitalen Raum? Welche Werte gelten und wie übertragen sie sich in die reale Welt?

Der Unterschied zwischen dem digitalen und dem realen Raum ist folgender: Wir sind der digitale Raum. Er ist der Ort, der nur aus unseren Gedanken besteht. Während der reale Raum auch unsere Dingwelt und die Natur enthält, beinhaltet der Cyberspace ausschließlich die menschliche Fantasie. Insoweit erzählte unsere Geschichte.

Er ist aber auch der Ort, an den wir die reale Welt übertragen. Viele Menschen geben sich unheimlich Mühe, ganze Städte online neu und punktgenau aus Pixeln zu erbauen. Mit ein paar Unterschieden: manche Häuser schweben, Avatare haben Flügel und gelegentlich streunen Drachen durch die Straßen. Ansonsten gibt es Universitäten, Galerien und Bibliotheken, Cafés, Strände, Boutiquen und selbstverständlich – Bordelle. Das grelle, brodelnde Leben.

Nur besser?

Unmittelbarer. Die Menschen erfinden sich ohne Limit neu. Sie können Zauberwesen sein. Vor allem bewegen Sie sich anonym durch einen scheinbar unendlichen Raum der Möglichkeiten.

Doch zu unserem großen Erstaunen bleiben Sie nur sie selbst in neuem Gewand. Aber vielleicht ist das Erstaunen auch gar nicht allzu groß. Was sonst sollten die Menschen sein? Sie sind ihre Natur verhaftet, den Notwendigkeiten ihres Lebens. Also beschaffen sie sich online alles, was sie brauchen. Das Internet ist aus diesem Grund schnell zu einem großen Marktplatz, zu einem globalen Laden geworden. Dort gehen die Menschen in der Sicherheit ihrer Wohnungen auf Schnäppchenjagd. Mit Bestellung verwandeln sich die virtuellen Waren in wirkliche Dinge, die sich die Menschen einverleiben können. Es gibt eine Schnittstelle und die zeigt, dass die online Welt nicht eigenständig ist. Kein Mensch lebt einzig und allein in ihr. Bisher ist der Cyberspace nur eine Erweiterung unserer realen Welt. Möglicherweise wird sich das irgendwann in der Zukunft verändern. Bisher überträgt die Menschheit lediglich ihr Denken und Handeln auf ein neues Medium.

Das führt zu Interessenkonflikten. Termine müssen abgestimmt werden, um die reale mit der virtuellen Welt in Einklang zu bringen. Wer sich in dem fantastischen Metaversum eines Multiplayer online Games einrichtet, wird dort zwar ein Held sein, verliert aber bald den Bezug zu der Dingwelt, in der er die Notwendigkeiten seines körperlichen Lebens erledigen muss. Solange diese Notwendigkeit nicht Teil des Cyberspace werden, bleiben die Menschen zwei geteilt. Zweigeteilt bleiben dann auch die Werte.

Voyeure

In der Anonymität des Internet verhalten sich die Menschen wie unsichtbare Fremde. Ähnlich dem Sartreschen Ich, dass durch das Schlüsselloch schaut. Doch online fällt der Blick des anderen nicht auf das erschrockene Ich eines Menschen. Er fällt auf das virtuelle Ich eines Avatars.

Das ist kein Ich, sondern ein Es. Ein Es, das zwar auf das Ich hinter dem Avatar zurückwirkt, dieses versteckte Ich aber nie unmittelbar erreicht, sondern nur gefiltert über die Anonymität des Rollenspiels.

Online schaltet der Mensch eine Instanz zwischen sich und die Welt. Er nimmt eine neue Identität an, die zwar nichts von den Notwendigkeiten des Lebens wissen kann und sie auch nicht ausführt, dafür aber das Ich hinter der Maske seines Avatars von allen Werten befreit, von denen es sich eingeengt fühlt und von denen es sich befreien will. In gewisser Hinsicht ist der Mensch im Metaversum frei – und nur dort. Es ist mehr als der Blick durch das Schlüsselloch. Er betritt den Raum hinter der Tür, den er in der realen Welt nur beobachten kann und agiert in diesem Raum. Der Mensch schlüpft durch das Schlüsselloch und macht selbst, was er bisher nur sah. Ohne den Blick eines anderen befürchten zu müssen. Der Voyeur wird zu handelten Person, die den Blicken nicht ausweicht, sondern sie auf sich zieht, um sich in ihnen zu sonnen.

Andererseits darf, wer Voyeur sein möchte, es im Internet sein. Das Schlüsselloch ist weit offen und niemand muss heimlich spähen. Die Akteure leben von den Beobachtern. Das zur Schau stellen geschieht mit Absicht und die Zuschauer sind Teil der Inszenierung.

Das Internet schafft neue Werte und lässt die alten hinter sich. Dass „Sie“ stirbt zugunsten des „Du“. Nur eine Folge der digitalen Revolution. Allerdings bringt die Schnittstelle beider Welten Probleme mit sich. Ein Held auf der einen Seite, ein arbeitsloser Nichtsnutz auf der anderen wie passt das zusammen?

Werte prallen aufeinander. Die Internethelden werden irgendwann sehr wütend auf die Welt, die ihre Körper gefangen hält, ihnen aber sonst nichts zu bieten hat. Sie werden eine Onlineheimat fordern, sobald es der Masse möglich sein wird, in der virtuellen Welt ausreichend Geld zu verdienen. Vielleicht als Cyberhausmeister, Metaversumguide und Menschenerklärer für KI–Algorithmen. Es wird Möglichkeiten geben. Eventuell eine neue Staatsbürgerschaft für Avatare und die Menschen hinter ihnen. Ein Online–Finanzsystem und natürlich eine Steuerbehörde.

Auch Roboter befolgen Gesetze

Die Frage wird sein, ob der alte Mensch nur eine neue Welt besiedelt oder ob er bereit ist, eine wirklich neue Welt aufzubauen, in der Werte von Grund auf überholt und anders, der Welt immanent definiert werden.

Schon heute stellt sich diese Frage. Bei autonom fahrenden Autos zum Beispiel. Welche Werte kann ein Programm ihnen geben, um in gefährlichen Situation richtige Entscheidungen zu treffen? Welche Werte gelten, wenn es keine logisch richtige Entscheidung gibt? Je intelligenter künstliche Systeme werden, desto dringender stellt sich die Frage nach Werten. Das schlaueste Schachprogramm beispielsweise: Hat es die leiseste Ahnung von Sportsgeist? Vermutlich nicht. Braucht es das auch nicht oder bestehen wir darauf? Sind unsere Werte nur menschlich oder universell?

Der Science-Fiction Autor Isaak Asimov hat drei Roboter Gesetze formuliert, mit denen er der künstliche Intelligenzwerte zum Schutz der Menschen und ihrer selbst mit gibt. Sie lauten: 

1. Ein Roboter darf kein menschliches Wesen wissentlich verletzen oder durch Untätigkeit wissentlich zulassen, dass ein menschliches Wesen verletzt wird.

2. Ein Roboter muss menschlichen Befehlen Folge leisten – es sei denn, die Ausführung des Befehls kollidiert mit der ersten Regel.

3. Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen – es sei denn, dies kollidiert mit der ersten oder zweiten Regel.

Es ist offensichtlich, worauf diese Regeln hinauslaufen. Roboter sind demnach die modernen Sklaven der Menschheit. Es gibt kein ethisches Problem, da sie nicht als Lebewesen gelten und ihnen keine Gefühle zugestanden werden.

Später hat Asimov ein nulltes Gesetz hinzugefügt, dass Roboter verpflichtet, die Menschheit zu schützen. Allerdings ist das bedenklich, da es ihnen in diesem Fall erlaubt, einzelne Menschen zu töten.

Das Dilemma mit künstlicher Intelligenz zeigt gut das Dilemma mit Werten insgesamt. Ihre Wertigkeit ist eine Frage der Auslegung und dabei kommt es darauf an, wer sie auslegt und zu welchem Zweck.

Da ist es wieder: „Du sollst nicht töten – es sei denn, ich befehle es dir!“

Die Definitionsgewalt über Werte liegt bei denjenigen, der sich mit seiner Sichtweise durchsetzt. Sollte sich morgen jemand zum Kaiser der Welt ernennen lassen wollen, würde er wahrscheinlich früher oder später in der Psychatrie landen. Würden ihn aber zumindest einige Nationen anerkennen, hätte er eine Chance, mit seiner Idee durchzukommen.

Sonntag, 30. Oktober 2022

Das Fließband im Privaten

Ein fliegender Bot gleitet durch die Luft - er erinnert an eine Mücke oder ein ähnliches Insekt
Das Fließband ist eine Errungenschaft der Produktivität. In großem Stil vor mehr als einhundert Jahren eingeführt, vergrößert es bis heute den Ausstoß an Waren enorm. Gleichzeitig macht es die Arbeiter zu willfährigen Handlangern, die ihr berufliches Dasein bei immer denselben Handgriffen fristen. Humorvoll dargestellt im Film Moderne Zeiten von Charles Chaplin.

Natürlich gibt es für die Menschen am Fließband auch Vorteile. Zumeist vergleichsweise gute Bezahlung, Sicherheit im Umgang mit den an sie gestellten Anforderungen und keine Notwendigkeit, eigenständig zu denken. Viele Arbeiter sind mit diesen Bedingungen mehr als zufrieden. 

Die digitale Technik verlagert nun die Reflexe der Fließbandarbeit in das Private. Ein "Pling!" und einstudierte Handgriffe werden zur Anwendung gebracht: Greifen, Wischen, Tippen. Ein "lol" hier, ein Emoji dort. Ein Selfie, ein Foto vom Essen, eine kurze Sprachnachricht. Millionenfache Wiederholungen weltweit. Zufällig und austauschbar die Menschen, denen die verkümmerte Aufmerksamkeit gilt.

Nachrichten werden abgearbeitet. Oder vielleicht sogar: Das Leben wird abgearbeitet in den Nachrichten. Gibt es überhaupt ein Leben, ohne die Mitteilungen darüber? Die Frage ist wichtig: Inwieweit formt das Fließband des gewaltigen Stroms an Worten unser Leben? Ist es eventuell ein Malstrom, in dem die Menschen zerrieben werden?

Die Ressource Mensch wird ausgebeutet

Die Transparenz eines jeden Lebens für die Öffentlichkeit ist ein neues Phänomen. Noch vor einem Jahrzehnt blieb das Private auch privat. Die wenigsten Menschen waren in den Medien präsent. Der Austausch von Neuigkeiten beschränkte sich auf das Festnetztelefon und persönliche Kontakte. Selbst Familie und Freunde bekamen nicht alles von einem Menschen mit, weil vieles in Vergessenheit geriet, bis es hätte geteilt werden können. Jeder hatte eine wirkliche Privatsphäre. Deshalb war auch die Volksbefragung 1987 ein großer Streitpunkt. Die Bürger befürchteten damals, zu viel von sich preisgeben zu müssen.

Heute geben die Menschen freiwillig weitaus mehr Informationen heraus. Im Akkord. Die Digitalindustrie hat einen Weg gefunden, die Ressource Menschen auszubeuten, ohne dass es zu Protesten kommt. Im Gegenteil: Die Nutzer sind glücklich, sich der Welt mitteilen zu dürfen. (Nachzulesen bei Shoshana Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Campus Verlag 2018)

Kaum eine Zeit, in der nicht nach dem mobilen Gerät gegriffen wird, um zu tippen. Gleich nach dem Aufwachen, beim Frühstück, mitten in Gesprächen, während der Arbeit und beim Sport. Alles ist wichtig, muss sofort gelesen und beantwortet werden. Der Computer ist das Mittel zum Tratschen.

Das verwundert nicht. Schließlich haben die Menschen aller Wahrscheinlichkeit nach die Sprache entwickelt, um sich darüber auszutauschen, wer mit wem befreundet oder verfeindet ist. Ob gerade ein wildes Tier die Gruppe angriff, war weniger entscheidend, als die sozialen Kontakte untereinander. (Siehe dazu Yuval Noah Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, Deutsche Verlags-Anstalt 2013, Seite 35 ff.)

Die Angst, ausgeschlossen zu sein

Das Bedenkliche ist also nicht der Klatsch und Tratsch via Internet. Es ist die Banalität der groben Fließbandarbeit, zu der ein Austausch zunehmend verkommt. Jemand steht vor der Tür und postet: "Ich bin gleich da." Die Antwort erfolgt prompt: "Wie schön!" Da schellt auch schon die Klingel. Beim Essen dann: "Das muss ich mal kurz lesen." Es geht um den Sport am Abend, eine Zutat zum Kochen, den Kommentar zum neuesten Foto. Das alles würde einen Aufschub dulden. Aber nicht im Kopf des Empfängers, der wie ein Pawlowscher Hund reagiert, sobald das "Pling!" ertönt.

Es gibt keine ruhige Minute mehr am Tag. In der Bahn, auf öffentlichen Plätzen, selbst in Geschäften werden pausenlos Mitteilungen ausgetauscht. Eine permanente Inanspruchnahme, zumal der Absender eine baldige Reaktion erwartet. Deshalb sofort der Griff zum mobilen Gerät. Die Angst, Entscheidendes zu verpassen - schlimmer noch: ausgeschlossen zu sein.

Die Welt des mobilen chattens - so wird suggeriert - ist eine große Gemeinschaft. Wer nicht dabei ist, bleibt allein. Das möchte niemand. Jeder will am Leben der anderen teilhaben. Von der Geburt bis zum Tod wird alles digital erfasst. 

Doch Stück für Stück entgleitet uns dabei das Leben. Schon, weil die ständige Onlineverfügbarkeit sehr viel Zeit kostet. Sie zieht die Aufmerksamkeit auf sich und damit von anderen Beschäftigungen ab. Ein schnelles Telefonat, eine kurze Nachricht - kein Problem. Doch vervielfacht auf zahlreiche Menschen, ergibt das Stunden der Ablenkung. Das Leben wird vom digitalen Fließband diktiert. Vieles findet nur wegen oder durch den mobilen Computer statt. Mittlerweile ist es die Inszenierung für andere, die zählt, weniger ein Erlebnis an sich.

Abgrenzungen verwischen

Ziehen wir allerdings in Betracht, die Nutzer möchten diese digitale Fließbandarbeit, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Oder muss man die Menschen vor sich selbst schützen? Vielleicht schon. Doch keiner wird das in diesem Fall wagen. Zu groß sind die wirtschaftlichen Interessen. Vor allem: Wer so mit sich selbst beschäftigt ist, wie der digitalisierte Mensch, stellt die Interessen von Politik und Wirtschaft nicht infrage. Ebensowenig, wie die Arbeiter nie den Akkord am Fließband grundsätzlich infrage gestellt haben.

Es bleibt das ungute Gefühl, dem gesellschaftlichen Fließband, das mehr und mehr ins Private greift, nicht entkommen zu können. Denn auf den mobilen Computer zu verzichten, ist kaum möglich. Beruflich wird die Verfügbarkeit rund um die Uhr stillschweigend erwartet. Die Abgrenzungen verwischen. Noch abends auf dem Fußballplatz wird gearbeitet, während im Büro schnell die Familienzeit in Planung ist.

Das Fließband läuft 24 Stunden auf Hochtouren, 365 Tage im Jahr. Selbst im Schlafen schrecken die Menschen auf. Den es macht "Pling!" Und es könnte wichtig sein.

Nachtrag zum vorliegenden Text Maschine mit Charakter