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Dienstag, 17. Januar 2023

Kulturindustrie zur Unterhaltung der Masse

 

Alle sitzen vor ihren Bildschirmen und starren auf Inhalte, die sie nicht mehr voneinander unterscheiden können
Werte brauchen Mehrheiten, um gelebt zu werden. Denn wenn nur einer am Freitag im Büro mit Jogginghose herumläuft, ist das lächerlich. Doch sobald mehr mitmachen, wird eine Bewegung daraus, wie der Casual Friday. Ein Demonstrant steht recht verloren auf der Straße. Tausende machen Stimmung und verschaffen ihren Forderungen gehört. So funktionieren Werte: Sie bieten sich der Masse an. Direkt aus dem kollektiven Strom: Dem Durchschnittstypen, der damit das Gesetz in die eigene Hand nehmen kann.

Keine Chance also für Vernunft? Die Masse ist nicht vernünftig. Sie ist laut, vulgär und weitgehend dumm. Doch alle Mächtigen fürchten die Masse, weil sie in letzter Konsequenz von ihrem guten Willen abhängig sind. Es war immer die Masse, die Umstürze und Revolutionen getragen hat. Die Masse entscheidet Wahlen. Sie ist es, um die Politik, Wirtschaft und Religionen buhlen.

Was genau aber ist die Masse?

Zunächst ganz allgemein eine sehr große Zahl von Menschen. Sie wird sichtbar bei Versammlungen, Konzerten, Sportveranstaltungen, Paraden und ähnlichen Ereignissen. Darüber hinaus bleibt sie im Hintergrund. Sie ist der einzelne Mensch vervielfacht. In ihr verwirklichen sich Gedanken in eine Richtung. Als würde tausendfach dasselbe Stück Treibholz aus dem kollektiven Strom gefischt. Der rohe, unreflektierte Wert wird von der Masse angenommen und wiedergegeben. Durch das Denken der einzelnen Menschen.

Der Gedanke, der den Wert trägt, verbreitet sich wie ein geistiges Lebewesen von Wirt zu Wirt. Das dauert seine Zeit, aber er infiziert eine ausreichende Anzahl. Natürlich sind einige Menschen immun und andere werden insofern „geheilt“, dass sie den Gedanken schlichtweg vergessen. Doch wenn ausreichend Menschen angesteckt werden, das heißt beeinflusst, gewinnt der Gedanke, der Wert unmittelbar an Bedeutung.

Um alles ein wenig zu beschleunigen, gibt es die so genannten Multiplikatoren. Stars, Sternchen, Berühmtheiten und selbstverständlich die Medien. Sie alle Bullen ebenso wie Politik, Wirtschaft und Religionen um die Masse. Doch anders als diese wollen Sie die Masse nicht beherrschen. Sie wollen die Kumpel der Masse sein. Gleiche unter Gleichen. Ihr Ziel ist die Verschmelzung mit der Masse, damit die Masse so sein will wie sie. Es geht um Uniformität des die Individualität betonenden Einzelnen als Teil der Masse oder vielleicht besser einer Massenkultur.

Die Kulturindustrie nimmt mehr und mehr Raum ein

Bereits Theodor Adorno sprach in den 1960er Jahren von der Kulturindustrie, deren einzige Aufgabe es sei, die Masse zu unterhalten und damit ruhig zu stellen. Doch auch eine Aufgabe der Propaganda sah er in den Produktionen von Sendeanstalten, Verlagen und Theatern.

Die Idee ist nicht neu. Schon die katholische Kirche vermittelt seit vielen hundert Jahren ihr Glaubens- und Weltbild vor allem durch Kunst, Architektur und Musik. Da die meisten Menschen damals nicht lesen konnten, wurde Ihnen auf diese Weise die Bibel nahe gebracht. Natürlich hatte die Kirche so die Deutungshoheit.

Die Kulturindustrie ist zu allen Seiten nachhaltig. Werke von Bach sind noch immer populär. Bei jedem Vortrag seiner Musik wird die christliche Botschaft verkündet – bis heute. Dasselbe gilt für Gemälde von Michelangelo sowie natürlich die Kirchen und Kathedralen überall in Europa und vielen Teilen der westlichen Welt. Das Medienkonzept der Kirche ist ein ein einzigartiges Propagandainstrument, dass die menschliche Kultur geprägt hat und noch immer prägt. Es übt sogar Einfluss auf Menschen aus, die nicht den christlichen Glauben angehören.

Die geschickte Verknüpfung von religiösen Werten mit medialer Präsenz verleiht der christlichen Kirche große Macht. Deshalb wurde ihr Konzept oft kopiert – von den Monarchien Europas über den Nationalsozialismus und die sozialistischen Diktaturen bis zu der Parteiendemokratie – ohne je erreicht zu werden.

Doch seit geraumer Zeit nimmt die Kulturindustrie mehr und mehr den Raum der Kirche ein. Kirchliche Gebäude dienen ihr sogar inzwischen als Eventlocations. Die Säkularisierung der Gesellschaft ist weit vorangeschritten.

Werte werden zu leeren Worten

Die Werte vieler Religionen werden zu leeren Werten. Das bedeutet, sie sind noch in der Gesellschaft bekannt, doch ihre Beweggründe und Inhalte geraten zunehmend in Vergessenheit. Sie werden zu regelmäßig wiederkehrenden Ereignissen, die wie Weihnachten und Ostern Teil des Brauchtums sind, ohne die Menschen zu bewegen. Im Vordergrund stehen die Feiertage mit Essen, Trinken und ausgelassener Stimmung. Der Wert hat sich von einer religiösen Zeremonie zu einem Volksfest verändert. Leer sind die Werte deshalb, weil ihre Inhalte verloren sind und den typischen Notwendigkeiten des menschlichen Lebens Platz gemacht haben. Der Befriedigung des körperlichen Wohlbefindens.

Je älter eine Gesellschaft ist, desto mehr leere Werte sammeln sich in ihr an. Dabei werden sie oft von einem sinnhaften Tun zu einer sinnfreien Beschäftigung. Das Brauchtum ist ein Beispiel. Trachten und Tänze geben Gesellschaften Identität und Zusammenhalt. Heute sind sie Spektakel für Touristen und ein schwacher Abklatsch der Erinnerung, ein Nachhall früherer Zeiten für die Einheimischen selbst.

Leere Worte sind nichts und bedeuten vielen Menschen doch alles

Die Kulturindustrie fördert diese Entwicklung. So ist das Bild, dass viele Menschen von den Vereinigten Staaten von Amerika haben, grundlegend von der dortigen Filmindustrie geprägt. Sie entwarf die heroische Eroberung des Westens und den so genannten American way of life. Historische Fakten und die tatsächliche Situation des Landes spielten dabei kaum eine Rolle. Dabei wird wird zwar Glaubwürdig verspielt, aber ein Weltbild gewonnen. Die Kulturindustrie hat die Deutungshoheit über die Historie, Gegenwart und Zukunft der Menschheit errungen. Sie füllt leere Werte mit ihren eigenen Inhalten. So konnten auch kirchliche Feiertage zur reinen Konsum festen verkommen.

Die moderne Welt produziert unendlich mehr leere Werte. Vieles ist in Auflösung begriffen. Immer weniger Menschen engagieren sich ehrenamtlich für die Gesellschaft. Kaum jemand setzt sich noch außerhalb der eigenen Belange ein. Der Staat, repräsentiert durch Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Religionen, wird von der überwiegenden Mehrheit als inkompetent angesehen.

Der Schlamassel wird von den leeren Werten verursacht. Sie sind nichts und bedeuten vielen Menschen doch alles. In vorderster Reihe die Ereignisse der Kulturindustrie in Form von Musik, Film, Büchern, Spielen, Theater, Kunst, Events und einigen mehr. Die Menschen lassen sich beschäftigen, aber sie nehmen dadurch nicht aktiv an der Entwicklung ihrer Gesellschaft teil.