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Freitag, 30. Juni 2023

Alle zielen auf die Masse

Die Macht liegt nicht bei der Masse, sie steht der Masse vor
Als nächstes muss das Verhältnis zwischen Macht und Masse näher beleuchtet werden. Die Masse hat keine Macht. Sie verleiht auch nicht Macht. Aber Macht beruft sich auf Masse und dadurch fällt der Masse die Aufgabe zu, Macht zu legitimieren. Zum Beispiel mittels Wahlen. Die Entscheidung zwischen verschiedenen Parteien hält den Anschein von Demokratie aufrecht, auch wenn die eigentliche Macht längst bei Bürokratie, Lobbyisten und Marketingabteilungen liegt. Die Masse erhält die Möglichkeit als Masse zu wirken. Bei den Wahlergebnissen werden die individuellen Entscheidungen der Einzelnen – denen oft komplizierte, langwierige Überlegungen zugrunde liegen – auf massetaugliche Prozentzahlen reduziert, die wiederum in Sieg und Niederlage Einzelner aufgelöst werden. Doch geht nach einer Wahl wirklich Macht von einer Partei auf die andere über, von Person zu Person?

Die wirkliche Macht ist dezentral

Nein. Macht ist ein Kontinuum, bis sie vollkommen zusammenbricht und neu definiert werden muss. Sie wird von Generation zu Generation weitergegeben – in Familien, Unternehmen und Staaten. Präsidenten kommen und gehen, sie repräsentieren lediglich einen Abschnitt gewisser Machtlenkung. Die Macht selbst bleibt davon unberührt. Gesichert in den Strukturen von Organisationen gibt sie Oberhäuptern das Gefühl, sie in Händen zu halten. Doch dürfen die Anführer der Menschen Macht nur repräsentieren. 

Die wirkliche Macht ist dezentral. Sie verteilt sich auf Amtsstuben und Büros. Geleitet werden die Menschen, die dort Macht ausüben, von Werten, die von der Gesellschaft anerkannt sind oder sich gerade dort entwickeln. Da die Masse Werte setzt, lenkt sie in gewissem Sinn die Ausübung von Macht, ohne selbst ein Machtfaktor zu sein. Vielmehr ist sie ein Orientierungspunkt, der umso wichtiger wird, je mehr das „Denken“ der Masse durch Umfragen und ähnliche Analysen sichtbar gemacht werden kann. Es kommt in Politik, Wirtschaft und im Internet darauf an, mit den richtigen Keywords zu arbeiten, um die Masse zu erreichen. Auf diese Weise bestimmt sie die Agenda einer Gesellschaft.

Kräftemessen um Akzeptanz

Hierin findet sich auch der Grund, weshalb Bürokratie selbst radikalste Wertewandel fast augenblicklich vollziehen kann. Da ihre Angehörigen Teil der Masse sind, spürt sie Veränderungen bereits vor ihrer Verwirklichung und kann sich daher schon während der Entwicklungsphase auf sie einstellen. Das betrifft die Besetzung von Stellen genauso, wie Verwaltungsrichtlinien und die Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen. Die Bürokratie ist vorbereitet, wenn der Wertewandel Fuß fasst. Der öffentlichkeitswirksame Auftritt von Politikern ist nur noch Show.

Wertewandel bestimmt die Richtung, in die sich eine Gesellschaft bewegt. Oft vollzieht er sich schleichend, manchmal auch rasant. Immer bringt er Veränderungen für die Menschen mit sich. Deshalb löst er Ängste und Abwehr aus, die auf alternativen Werten basieren. Die Masse liefert sich ein Kräftemessen um Akzeptanz. Dadurch verschiebt sich die Balance einer Gesellschaft im politischen Spektrum. Wenn die Masse unzufrieden ist, werden Werte neu gewichtet. 

Über den Einzelnen die Vielen erreichen

Natürlich vollzieht sich diese Neugewichtung nicht als plötzliche Revolution, sondern als kontinuierlicher Prozess. Dabei wird die Masse fortwährend von gesellschaftlichen Kräften manipuliert. Medien, Werbung, Internetformate, Parteien (um nur einige zu nennen): Sie alle zielen auf die Masse. Es geht um Legitimation, Überzeugungen, Aufmerksamkeit, Umsatz und Loyalität. Vor allem Politik und Wirtschaft wollen sich für ihre Interessen der Masse versichern. Dabei wenden sie sich mit ihren Botschaften an den Einzelnen, um die Vielen zu erreichen. Ein Widerspruch?

Dienstag, 16. Mai 2023

Der Konsumismus prägt die erste globale Gesellschaftsform

Hinter den Fassaden der schönen Konsumwelt sieht es düster und verkommen aus
Die Ideologien früherer Tage haben den Menschen mehr Werte ideeller Natur beigemessen. Sie brauchten die Masse beispielsweise auch im Kampf. Der Konsumismus braucht sie ausschließlich an der Ladenkasse. Dabei ist es ihm gleichgültig, wie jemand zu Geld kommt, solange er sein Augenmerk hauptsächlich darauf richtet, es auszugeben.

Oberstes Ziel des Kommunismus ist nicht die Gleichheit aller Menschen, sondern ihre unbedingte Marktteilnahme. Jeder, wie es sein Einkommen hergibt.

Den Menschen wird ihre Zeit genommen

Das Prinzip des Konsumismus wirkt sehr demokratisch. Doch in Wirklichkeit zerstört es die Demokratie und mit all ihren Werte, die eine weitgehend friedliche Gesellschaft bisher ausgezeichnet haben. Zum Beispiel ist das ehrenamtliche Engagement stark zurückgegangen. Nur doch ungefähr ein Drittel der Menschen engagieren sich für andere oder die Belange der Gesellschaft insgesamt. 

Im Konsumismus bleibt wenig Zeit neben der Optimierung seiner selbst und den eigenen materiellen Werten. Ziel ist eine 24/7 Bereitschaft zum Konsumieren. Möglich geworden ist das Erreichen dieses Ziels durch die Etablierung des Onlinehandels sowie die drastische Ausweitung der Ladenöffnungszeiten. Der Wert der Ruhezeiten wird dagegen reduziert und Schritt für Schritt abgeschafft. Es gibt kein Durchatmen mehr in der Gesellschaft, keine kollektive Pause. Selbst die Sonntage sind oft genug mit Besichtigungen oder Beratungsterminen verplant.

Das Erfolgsrezept des Konsumismus besteht darin, dass der den Menschen keine Zeit lässt, sich anders zu orientieren. Dadurch ist Zeit auch zu einer der wertvollsten Ressourcen geworden. Der Konsumismus versucht, jede Minute zu belegen. Bei genauer Betrachtung, gelingt ihm das sehr gut. Denn vieles, was Menschen heute machen, ist offener oder zumindest verdeckter Konsumismus. Wer zum Beispiel stundenlang am Computer zockt oder fernsieht, konsumiert in Wahrheit - wenn auch auf eine ganz angenehme Art und Weise.

Werte unterstützen den Konsumismus

Lässt sich also sagen, alle Werte sind abgelöst von dem einen Wert des Konsumieren? Nein, ganz so einfach ist es denn doch nicht. Auch der Konsumismus benötigt übergeordnete Regeln und Werte. Nur, solange die Gesellschaft möglichst reibungslos funktioniert, kann er erfolgreich sein. Aber durch ihn verändern sich die Werte sehr nachhaltig. 

Die Ladenöffnungszeiten wurden bereits erwähnt. Darüber hinaus ist der Wert, keine Schulden zu haben, sehr in den Hintergrund getreten. Inzwischen gilt es als viel angesagter, Konsumentenkredite aufzunehmen. Das ist im Sinne des Konsumismus. Wer verschuldet ist, arbeitet härter, um sich noch mehr leisten zu können, obwohl der Kredit zurückgezahlt werden muss. 

Aber auch althergebrachte Regeln unterstützen den Konsumismus. Verlässlichkeit, zum Beispiel und Ehrlichkeit. Allgemein gesagt: Es gelten die Werte, die dem Konsumismus nützen. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass es fast keine gesellschaftlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen gibt. Jede Form von Unstimmigkeit fordert Zeit zur Klärung und hindert den Konsum der beteiligten Menschen. 

Der Konsumismus prägt die erste globale Gesellschaftsform, der die Menschheit sich freiwillig unterwirft. Sie scheint ihr zu entsprechen. Jagen und Sammeln in moderner Ausprägung.

Notwendigkeit wird zur Nebensächlichkeit

Gleichzeitig entwickeln sich neue Werte in der Onlinewelt. Werte, die darauf abgestimmt sind, dass sich viele Menschen anonym begegnen. Eine sogenannte Netiquette soll ihr Miteinander regeln und verträglich machen. Allerdings überwiegen in einigen Bereichen Mobbing, Hass und virtuelle Gewalt. Ohne große Gefahr der Entdeckung und Bestrafung fallen die meisten Werte aggressivem Treiben zum Opfer. Trotz aller Bemühungen gibt es einzelne Teile der Menschheit, die auf Gewalt setzen. Vielleicht ist es an der Zeit einzugestehen, dass Menschen auch diese düstere Seite haben und in absehbarer Zeit nicht überwinden werden.

Doch was, wenn die Menschen sich auf die notwendigen Lebensgrundlagen beschränken würden? Zunächst ist zu definieren, was zu den notwendigen Lebensgrundlagen zählt. Unbestritten sicherlich Nahrung, Kleidung und Wohnung. Darüber hinaus Kommunikation, Bildung, Mobilität und Kultur. Aber sind drei Autos, fünf Computer und 25 Paar Schuhe notwendig? An welchem Punkt schlägt die Notwendigkeit in bloßen Konsum um?

Abzulesen ist dies ganz gut an der Art und Weise der Nahrungsaufnahme. Die Menschheit leidet unter Übergewicht. Essen ist vielerorts von einer Notwendigkeit zu einer Beschäftigung geworden. Die Märkte sind voller verlockender Angebote - von regional bis exotisch. Die Nahrungsaufnahme wird als Kunstwerk stilisiert. Andererseits gibt es mehr und mehr Fertiggerichte, weil sich viele Menschen nicht mehr die Zeit zum Kochen nehmen und ihr Essen schnell vor dem Fernseher oder Computer herunterschlingen. Das Notwendige wird zur Nebensächlichkeit, die nichtsdestotrotz notwendig ist.

Der Einzelne ist nur als Kunde ein Individuum

Paradox? Vielleicht. Doch das Muster wiederholt sich in der Geschichte. Zum Beispiel beim Rauchen. Vor Jahrhunderten ein zeitintensives Vergnügen. Der Tabak wurde ausschließlich in Pfeifen geraucht, der Genuss aufwendig zelebriert. Die Zigarre wurde zur Zeitersparnis erfunden. Sie ist gebrauchsfertig. Das Stopfen der Pfeife entfällt. Dann kamen die industrielle Revolution und der Erste Weltkrieg. Beides ließ Arbeiter und Soldaten kaum mehr Zeit zur Muße. Deshalb kam die Zigarette in Mode. Sie ersetzte endgültig das genussvolle Ritual des Rauchens durch die hastige Aufnahme von Nikotin. Die reine Sucht setzte sich gegen die gelegentliche Freude am Rauchen durch.

Die Menschen passen sich dem Rhythmus der Gesellschaft an. Die Gesellschaft aber wird bestimmt von der Notwendigkeit des Lebens. Sie organisiert die Infrastruktur, ohne die der Menschen wieder Jagen und Sammeln würde. Dafür benötigt sie die Masse und ignoriert den Einzelnen. 

Der Einzelne ist verloren. Gefangen zwischen Vorschriften, Regeln und Werten, die für die Masse geschaffen wurden, aber von ihm befolgt werden sollen. Er geht in der Masse auf und wird als Individuum ignoriert. Vorgegaukelt wird dem Einzelnen nur eine scheinbare Individualität, in der er als Kunde beachtet wird.