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Sonntag, 26. November 2023

Wertebasierte Debatten

Werte sind flexibel, wandelbar, anpassungsfähig und mit enormen moralischen Impuls - das setzt ein kurzer Popart-Comic in bunten Bildern um
Zum einen ist das eine Frage der Definition. „Gut“ und „Böse“ gibt es nicht, wie oben bereits ausgeführt, als Absolutes. Demnach ist es eine Sache der Ansicht, ob ein System als „Böse“ angesehen wird. Das trifft auf alle Systeme zu. Auch in Vereinen gibt es regelmäßig Unmut unter Mitgliedern um die Ausrichtung. Klimaaktivisten lösen zugleich Beifall und Verärgerung aus. In Parteien und religiösen Vereinigungen entbrennt periodisch ein Richtungsstreit. Jedes Mal geht es im weitesten Sinn um „Gut“ und „Böse“. Während eine Entwicklung den einen nicht radikal genug ist, bedeutet sie für andere bereits den Untergang ihrer Welt. Dabei wird vielleicht nur um die Aufstellung eines Mahnmals gerungen oder die Ausstattung des Clubraums. Doch ganz so einfach ist das bei genauerer Betrachtung nicht.

Werte ähneln einer Einbahnstraße

Es geht immer um mehr. Eine aktuelle Auseinandersetzung ist nur Anlass. Doch es gibt ein über die Sache hinaus, das sich in Denken und Handeln äußert. Sachfremde Themen fließen in jede Diskussion und in letzter Konsequenz auch in jede Entscheidung ein. Besonders Emotionen spielen dabei eine herausragende Rolle. Die wichtigsten: Sympathie und Antipathie. Beide Gegenspieler steuern einen Großteil im Geschehen des menschlichen Miteinanders. Sie sind das irrationale Fundament, auf dem rationale Begründungen errichtet werden, um sachlich zu argumentieren. Sehr wacklig, aber immer wieder erfolgreich, weil der emotionale Kern von vermeintlicher Logik verschleiert wird. Werte dienen dabei als Zement zwischen den entscheidenden emotionalen Beweggründen und ihren rationalen Erklärungen. Das funktioniert bestens, weil sie selbst binär sind: Logisch nachvollziehbar und zugleich hochemotional. Zudem sind Werte flexibel, wandelbar, anpassungsfähig und mit enormen moralischem Impuls ausgestattet. Gegen Werte lässt sich deshalb kaum argumentieren, weil sie einer Einbahnstraße ähneln. Wer darauf verkehrtherum fährt, riskiert mit großer Wahrscheinlichkeit einen Unfall. Sprich: Wer die gesellschaftlich vorgegebene Richtung von Werten missachtet, wird ziemlich sicher angefahren. Ein Beispiel dafür ist unter anderem die Gleichberechtigung. Ein grundsätzlich wichtiger Wert, der aber dadurch konterkariert und als Druckmittel benutzt wird, dass er Minderheiten ein überproportionales Sprachrohr bietet. Der Wahnwitz des Werteüberschusses gipfelt in der sogenannten gendergerechten Sprache, die durch ihren vollkommen unrealistischen Anspruch, es allen gerecht machen zu wollen, die Sprache selbst missbraucht. Doch Kritiker werden nicht etwa als Bewahrer der Sprache gefeiert, sondern als Gegner der Gleichberechtigung gebrandmarkt. Ende der Diskussion. 

Wertegläubige und Werteprofiteure

Überhaupt ist das ein Merkmal wertebasierter Debatten: Sie werden nicht offen geführt, sondern mit hohem Maß an Unehrlichkeit. Vorgeschobene Werte dienen dazu, persönliche Ziele zu erreichen. Zugleich sind sie austauschbar. Nicht, wofür jemand steht entscheidet, was er will, sondern was er will entscheidet, wofür jemand steht. Der Wert eines Wertes liegt demnach in seiner äußeren Nutzbarkeit, nicht in seiner inhaltlichen Aussage. Er bietet weniger Orientierung, als vielmehr eine Möglichkeit, Andersdenkende in die Enge zu treiben. Werte werden wie ein Netz verbunden, um darin Unterstützer zu fangen. Der Trick besteht darin, Werte als Mauer aufzurichten, die dadurch Festgesetzten aber glauben zu lassen, sie würden ihr Leben nach guten Werten ausrichten. Mit Werten wird eine Klassengesellschaft etabliert: Die Wertegläubigen und die Werteprofiteure. Für die einen sind Werte die Leitplanken ihres Lebens, während die anderen diese Leitplanken nicht nur setzen, sondern sich außerhalb der austauschbaren Begrenzungen organisieren.

Samstag, 12. November 2022

Unser Leben im Kommunismus

Menschen mit roten Bannern und Transparenten marschieren demonstrierend eine Straße entlang
Mit dem Untergang der Sowjetunion hat der Kommunismus endgültig ausgedient. Die Utopie von Marx, Engels und Lenin hat gegen den Kapitalismus verloren. So wird behauptet. Aber leben wir nicht trotz aller Lobgesänge auf unsere soziale Marktwirtschaft in einem kommunistischem System - in gewisser Art und Weise jedenfalls?

Durchdringt eine kommunistischen Ordnung die Gesellschaft?

Gewöhnlich wird der Kommunismus als eine Wirtschaftsform und damit als der direkte Gegenspieler zum Kapitalismus behandelt. Doch wie ist er anzusehen, wenn man ihn als Gesellschaftsordnung versteht? Können dann nicht Kapitalismus und Kommunismus nebeneinander bestehen, sich sogar ergänzen?

Der Kommunismus soll wie ein Schmetterling sein, der sich über seine Larvenform des Sozialismus entwickelt. Deshalb wurde er auch noch nirgendwo verwirklicht. Allerdings scheint die Larve sehr lebendig. Ganz besonders in der kapitalistischen Welt frisst sie sich satt. Könnte das ihre eigentliche Aufgabe sein: Die Wirtschaftsform des Kapitalismus mit einer kommunistischen Gesellschaftsordnung zu flankieren?

Um das beantworten zu können, muss natürlich zuerst untersucht werden, wie eine kommunistische Gesellschaftsform funktioniert. Ihr hervorragendstes Merkmal ist der Anspruch aller Beteiligten auf den gleichen Anteil an gengemeinsam erzeugten Gütern. Das setzt die Zufriedenheit aller an dieser Form der Verteilung voraus. Dies wiederum bedingt eine Konformität der Gesellschaft.

Die Bürokratie macht die Menschen vergleichbar

Heute existieren die Menschen in einer Massengesellschaft, deren Charakteristikum das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum ist. Dazu bedarf es einer Vielzahl von Regeln, die dazu bestimmt sind, die Menschen für die Masse gesellschaftsfähig zu machen. Spontanes Handeln und hervorragende Leistungen werden auf diese Weise zugunsten der großen Vielzahl durchschnittlicher Menschen unterdrückt. "In der Massengesellschaft hat das Gesellschaftliche nach einer jahrhundertelangen Entwicklung schließlich den Punkt erreicht, wo es jeweils alle Glieder einer Gemeinschaft gleichermaßen erfasst und mit gleicher Macht kontrolliert", schreibt Hannah Arendt in ihrem Buch "Vita active oder Vom tätigen Leben". Die Massengesellschaft sei das Stadium, in der es außerhalb der Gesellschaft stehende Gruppen schlechthin nicht mehr gebe. 

Karl Marx zog aus seinen Erkenntnissen den Schluss, "dass eine Vergesellschaftung des Menschen automatisch zu einer Harmonisierung der Interessen führen würde". Sein Vorschlag, die sowieso allen ökonomischen Ideen zugrundeliegende "kommunistische Fiktion" in der Wirklichkeit zu etablieren, war daher nur konsequent. Selbst wenn Adam Smith von der "unsichtbaren Hand" des Marktes spricht, beschreibt er damit, von ihm selbst unbemerkt, das kommunistische Prinzip.

Eine "unsichtbare Hand" regiert auch die Gesellschaft. Ein "Niemand", wie Hannah Arendt es nennt, der die Menschen reglementiert und seine Regeln erbarmungslos durchsetzt: Die Bürokratie. Sie etabliert soziales Verhalten als Maßstab für das gesamte Leben des Einzelnen. Und macht die Menschen vergleichbar - wenn nicht sogar gleich.

Planbares Verhalten

Diese Vergleichbarkeit ist Voraussetzung für den Erfolg der Wirtschaftswissenschaften. Denn ihre Methode ist vor allem die Statistik. Deren Grundbedingung ist aber die Auswertung einer Vielzahl von Daten, die einheitlich zu systematisieren sind. Als Konsequenz werden nach Hannah Arendt "alle Unstimmigkeiten als Abweichungen von einer in der Gesellschaft geltenden Norm und daher als asozial oder anormal verbucht". 

In der Massengesellschaft sind keine Individuen erwünscht, sondern Marktteilnehmer, die ein vorhersagbares Verhalten zeigen. Denn darauf basieren alle Annahmen und Berechnungen, baut jede Form von Prognose und Produktion auf, bis hin zu Logistik und Personalplanungen.

Das Instrument zur Anpassung der Menschen an die Marktbedingungen sind die Medien. Ein Heer von Journalisten und Redakteuren, Marketingexperten und Öffentlichkeitsarbeitern, Werbern und auch sogenannten Influencern arbeitet ununterbrochen an der Beeinflussung und damit dem Aufbau gleicher Denkmuster bei der Masse der Menschen. Das gelingt erstaunlich gut.

Nochmals Hannah Arendt: "So ist die Realität unter den Bedingungen einer gemeinsamen Welt nicht durch eine allen Menschen gemeinsame "Natur" garantiert, sondern ergibt sich vielmehr daraus, dass ungeachtet aller Unterschiede der Position und der daraus resultierenden Vielfalt der Aspekte es doch offenkundig ist, dass alle mit demselben Gegenstand befasst sind."

Ist nicht ein wichtiges Merkmal der kommunistischen Gesellschaftsordnung die Konformität der Gesellschaft? 

Die Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen

Alles Denken wird beeinflusst von Meinungsumfragen, Posts und Kommentaren. Auch Keywords steuern die öffentliche Meinung. Das Verhalten der Bürger ist durch Arbeit, Konsum und Freizeitmöglichkeiten reglementiert. Bürokratie und Kulturindustrie leiten die Menschen Hand in Hand durch ihr Leben. Die anscheinend unüberschaubare Vielfalt der Angebote schrumpft bei näherer Betrachtung schnell zusammen. Meist werden nur dieselben Themen unendlich variiert. Eine Avantgarde wird in die gesellschaftliche Ordnung integriert, sobald sie genügend Aufmerksamkeit erregt. Wer sich nicht vereinnahmen lassen will, fällt der Vergessenheit anheim. 

Die Mitglieder der Gesellschaft hetzen von Aufgabe zu Aufgabe, von Termin zu Termin und kommen kaum dazu, Luft zu holen. Zwar erledigen sie alles offensichtlich freiwillig, aber die große Kunst einer kommunistischen Gesellschaftsordnung besteht eben gerade darin, diese Freiwilligkeit glaubhaft vorzugaukeln. Schon Mao Zedong war davon überzeugt, die Revolution müsse immer weitergehen, um die Menschen nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Der Gedanke dahinter: Wer Zeit für sich hat, denkt nach und wer nachdenkt, strebt unliebsame Veränderungen an.

Besser sollen die Gedanken der Menschen um Konsum kreisen. Im weitesten Sinne. Denn heutzutage konsumiert auch, wer eine Nachricht an seine Familie schreibt. Die übertragenen Daten werden ausgewertet und dazu benutzt, die Gesellschaft gezielt zu lenken. Shoshana Zuboff prägte dafür den Begriff "Überwachungskapitalismus". Doch erinnert das Ausspionieren der Gesellschaft auch an Gepflogenheiten in kommunistisch regierten Ländern.

Ein soziales Experiment

Das untermauert die Eingangsthese, jede kapitalistische Wirtschaftsform wird von einer Gesellschaftsordnung flankiert, die mit ihrer Reglementierung und Gleichmacherei kommunistische Züge trägt. 

Bestes Beispiel dafür ist derzeit vielleicht die Volksrepublik China. Sie geht den Weg andersherum und hat erst ein kommunistisches System errichtet, das jetzt von einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung gestützt wird. Sehr erfolgreich, wie es aussieht. Nicht umsonst überwacht der Staat seine Bürger fast lückenlos. Ziel ist nicht nur die bedingungslose Konformität der Bevölkerung, um jede Opposition auszuschließen, sondern vor allem eine umfangreiche Sammlung perfekter Daten über die Marktteilnehmer und ihr Verhalten.

In dieser Hinsicht ist China mit seiner radikalen Datengewinnung ein soziales Experiment, auf das die kapitalistische Welt interessiert schaut. Es bleibt abzuwarten, inwieweit der kompromisslose chinesische Überwachungskapitalismus Nachahmer in den westlichen Ländern findet. 

Perfekte Harmonie

Zum Teil sind sie schon auf dem Weg dorthin. Die Konformität der Gesellschaft ist nicht zu übersehen. Es gibt nicht einmal mehr Debatten, um den Schein demokratischer Auseinandersetzungen zu wahren. Die Verwaltung hat Wirtschaft und Politik fest im Griff. Themen werden von Lobbygruppen und Werbeagenturen gesetzt. Daten stammen aus Umfragen und dem Internet. Suchmaschinenoptimierung ist für die Meinungsbildung wichtiger, als stichhaltige Argumente. 

Über allem steht die perfekte Harmonie zwischen kapitalistischer Wirtschaftsform und kommunistischer Gesellschaftsordnung. Sie erst verwandelt die Menschen in planbare und willfährige Marktteilnehmer. Was natürlich im Nachhinein den sogenannten Kalten Krieg ad absurdum führt. Es ging dabei nie um einen Kampf der Systeme, sondern um die Verteilung von Ressourcen. Nebenbei war er die perfekte Ablenkung der Menschen von Affären und Skandalen im eigenen Land. Er gab ihnen das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen und für eine gerechte Sache einzustehen. Auf beiden Seiten selbstverständlich, was keine Ironie ist, sondern veranschaulicht, wie die Menschen von ihren Regierungen hinters Licht geführt und für die Interessen der Massengesellschaft benutzt werden.

Die Stärke der kapitalistisch-kommunistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist ihre Subtilität, mit der Marktteilnehmer überwacht und ausgebeutet werden. Denn die Menschen glauben in Freiheit zu leben und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, während sie von den Regeln der Bürokratie und den Themen der Meinungsmacher geschickt gelenkt werden. Wer dagegen rebelliert, gilt nach den Worten von Hannah Arendt als asozial und abnormal. In der Massengesellschaft gehe es nicht um Handeln, sondern um ein sich-verhalten. Das oberste Ziel ist Konformität. Genau dies ist das kommunistische Prinzip in unserer Gesellschaftsordnung.