Neue Werte müssen die Gegenwart repräsentieren und in die Zukunft weisen, statt in die Vergangenheit. Denn die Vergangenheit erscheint nur deshalb besser, weil sich das scheinbar Gute in sie hineininterpretieren lässt. Aus diesem Grund kann sie jeder für seine Sichtweisen und Zwecke benutzen. Doch wer die Vergangenheit gebraucht, um in der Gegenwart zu leben, ist unglaubwürdig, wenn nicht sogar ein ausgemachter Schwindler. So schön die Vergangenheit auch rückblickend erscheinen mag, so unerträglich gegenwärtig war sie auf jeden Fall in ihrer Gegenwart. Archive geben Zeugnis von den Sorgen und Nöten der Menschen in der guten alten Zeit.
Das Leben von heute passt nicht zu den Werten von gestern
Es gibt also kein Entkommen aus der Gegenwart, außer in rührseligen Gedanken. Werte müssen deshalb gegenwärtig sein, damit sie für heutige Menschen von Nutzen sind. Das bedeutet nicht, frühere Werte zu missachten und nicht mehr zu berücksichtigen. Im Sinne einer Entwicklung müssen sie allerdings neu verhandelt werden. Der berühmte Satz in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechten lautet zwar: „Der Menschen wird frei und gleich an Rechten geboren und bleibt es.“ Doch gemeint waren damit damals vor allem weiße männliche Wesen. Würde dieser wichtige Satz heute noch so ausgelegt wie 1789, würde es vermutlich einen Aufschrei geben, denn das Denken heutzutage ist bemüht, keine farbigen und weiblichen Menschen auszuschließen. Auf den Punkt gebracht: Vieles aus der Vergangenheit ist gut, die Gegenwart aber aktueller. Niemand, auch nicht der rückwärtsgerichtete Reaktionär, will zum Beispiel auf moderne medizinische Versorgung verzichten. Die passt aber nicht zu den Werten von gestern.
Der Schlummer der Untätigkeit
Werte neu zu verhandeln, verursacht Aufruhr. Weshalb wichtige Werte für diesen Prozess Toleranz und Gewaltfreiheit sind. Auch Zuhören sowie Bereitschaft zur Veränderung gehören sicherlich dazu. Was geschehen kann, wenn diese Werte fehlen, haben sowohl die französische, als auch die russische Revolution gezeigt. Chaos und Gewaltexzesse stürzten beide Ländern in eine elende Zeit und lange Leidensperiode.
Die organisatorischen Werte setzen den Rahmen für das gesellschaftliche Aushandeln neuer grundlegender Werte des Zusammenlebens, die so etwas wie ein Weltgewissen sein sollten. Eine Bekenntnis zu umfassender Gemeinsamkeit und Gemeinschaft.
Der Rahmen ist durchaus wichtig für die Betrachtung der äußeren Welt. Denn er lenkt die Blicke auf den Ausschnitt, den die Betrachter sehen und nimmt dadurch entscheidenden Einfluss auf den zu verhandelnden Gegenstand. Schon Georg Wilhelm Hegel hat erklärt: „Durch Gewöhnung oder Tradition wurde der größte Unsinn für Vernunft und schändliche Torheiten für Wahrheit gehalten.“ er plädierte dafür, die eigene Meinung immer wieder kritisch zu hinterfragen und zu prüfen. „Dies soll uns aus dem Schlummer der Untätigkeit wecken.“
Notwendige Lebensgrundlagen weiten sich aus
Dazu bedarf es einmal mehr der Notwendigkeit. Es muss die Zeit gekommen sein für neue Werte. Wann ist eine Notwenigkeit gegeben? Spätestens, sobald es der Masse an der notwendigen Lebensgrundlage fehlt. Eine Zeit des Mangels ist auch stets eine Zeit der Umbrüche. Doch noch etwas anderes führt zu Veränderungen: Eine neue und notwendige Lebensgrundlage. Was soll das sein? Bisher war die notwendige Lebensgrundlage definiert als Nahrung, Wohnung und Kleidung. Brauche die Menschen mehr? Mit fortschreitender Entwicklung haben sich die notwendigen Lebensgrundlagen ausgeweitet. Heute zählen zum Beispiel auch Bildung und Kultur dazu. Jede Erweiterung brachte neue Werte mit sich. Die Mobilität durch die Bahn und noch mehr das Auto hat die Gesellschaft ab den 1950er Jahren vollkommen umgekrempelt. Eine neue Lebensweise wurde geprägt. Die Menschen pendelten zur Arbeit und zurück. Städte wurden zu autofreundlichen Ballungszentren. Der allgemeine Aktionsradius vergrößerte sich rapide. Dadurch wurde die Gesellschaft zusehends geprägt. Bis hin zu Mode und Sprache hielt die Mobilität Einzug in das Leben der Menschen. Das eigene Auto oder zumindest ein guter Anschluss an den öffentlichen Nah- und Fernverkehr wurde zu einer notwendigen Lebensgrundlage.