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Samstag, 20. Mai 2023

Ein Bekenntnis zu umfassender Gemeinsamkeit und Gemeinschaft

Die Gemeinschaft muss durchdrungen werden wie ein Dschungel, um das Beste aus ihr zu ziehen

Neue Werte müssen die Gegenwart repräsentieren und in die Zukunft weisen, statt in die Vergangenheit. Denn die Vergangenheit erscheint nur deshalb besser, weil sich das scheinbar Gute in sie hineininterpretieren lässt. Aus diesem Grund kann sie jeder für seine Sichtweisen und Zwecke benutzen. Doch wer die Vergangenheit gebraucht, um in der Gegenwart zu leben, ist unglaubwürdig, wenn nicht sogar ein ausgemachter Schwindler. So schön die Vergangenheit auch rückblickend erscheinen mag, so unerträglich gegenwärtig war sie auf jeden Fall in ihrer Gegenwart. Archive geben Zeugnis von den Sorgen und Nöten der Menschen in der guten alten Zeit.

Das Leben von heute passt nicht zu den Werten von gestern

Es gibt also kein Entkommen aus der Gegenwart, außer in rührseligen Gedanken. Werte müssen deshalb gegenwärtig sein, damit sie für heutige Menschen von Nutzen sind. Das bedeutet nicht, frühere Werte zu missachten und nicht mehr zu berücksichtigen. Im Sinne einer Entwicklung müssen sie allerdings neu verhandelt werden. Der berühmte Satz in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechten lautet zwar: „Der Menschen wird frei und gleich an Rechten geboren und bleibt es.“ Doch gemeint waren damit damals vor allem weiße männliche Wesen. Würde dieser wichtige Satz heute noch so ausgelegt wie 1789, würde es vermutlich einen Aufschrei geben, denn das Denken heutzutage ist bemüht, keine farbigen und weiblichen Menschen auszuschließen. Auf den Punkt gebracht: Vieles aus der Vergangenheit ist gut, die Gegenwart aber aktueller. Niemand, auch nicht der rückwärtsgerichtete Reaktionär, will zum Beispiel auf moderne medizinische Versorgung verzichten. Die passt aber nicht zu den Werten von gestern.

Der Schlummer der Untätigkeit 

Werte neu zu verhandeln, verursacht Aufruhr. Weshalb wichtige Werte für diesen Prozess Toleranz und Gewaltfreiheit sind. Auch Zuhören sowie Bereitschaft zur Veränderung gehören sicherlich dazu. Was geschehen kann, wenn diese Werte fehlen, haben sowohl die französische, als auch die russische Revolution gezeigt. Chaos und Gewaltexzesse stürzten beide Ländern in eine elende Zeit und lange Leidensperiode.

Die organisatorischen Werte setzen den Rahmen für das gesellschaftliche Aushandeln neuer grundlegender Werte des Zusammenlebens, die so etwas wie ein Weltgewissen sein sollten. Eine Bekenntnis zu umfassender Gemeinsamkeit und Gemeinschaft.

Der Rahmen ist durchaus wichtig für die Betrachtung der äußeren Welt. Denn er lenkt die Blicke auf den Ausschnitt, den die Betrachter sehen und nimmt dadurch entscheidenden Einfluss auf den zu verhandelnden Gegenstand. Schon Georg Wilhelm Hegel hat erklärt: „Durch Gewöhnung oder Tradition wurde der größte Unsinn für Vernunft und schändliche Torheiten für Wahrheit gehalten.“ er plädierte dafür, die eigene Meinung immer wieder kritisch zu hinterfragen und zu prüfen. „Dies soll uns aus dem Schlummer der Untätigkeit wecken.“

Notwendige Lebensgrundlagen weiten sich aus

Dazu bedarf es einmal mehr der Notwendigkeit. Es muss die Zeit gekommen sein für neue Werte. Wann ist eine Notwenigkeit gegeben? Spätestens, sobald es der Masse an der notwendigen Lebensgrundlage fehlt. Eine Zeit des Mangels ist auch stets eine Zeit der Umbrüche. Doch noch etwas anderes führt zu Veränderungen: Eine neue und notwendige Lebensgrundlage. Was soll das sein? Bisher war die notwendige Lebensgrundlage definiert als Nahrung, Wohnung und Kleidung. Brauche die Menschen mehr? Mit fortschreitender Entwicklung haben sich die notwendigen Lebensgrundlagen ausgeweitet. Heute zählen zum Beispiel auch Bildung und Kultur dazu. Jede Erweiterung brachte neue Werte mit sich. Die Mobilität durch die Bahn und noch mehr das Auto hat die Gesellschaft ab den 1950er Jahren vollkommen umgekrempelt. Eine neue Lebensweise wurde geprägt. Die Menschen pendelten zur Arbeit und zurück. Städte wurden zu autofreundlichen Ballungszentren. Der allgemeine Aktionsradius vergrößerte sich rapide. Dadurch wurde die Gesellschaft zusehends geprägt. Bis hin zu Mode und Sprache hielt die Mobilität Einzug in das Leben der Menschen. Das eigene Auto oder zumindest ein guter Anschluss an den öffentlichen Nah- und Fernverkehr wurde zu einer notwendigen Lebensgrundlage.

Samstag, 12. November 2022

Unser Leben im Kommunismus

Menschen mit roten Bannern und Transparenten marschieren demonstrierend eine Straße entlang
Mit dem Untergang der Sowjetunion hat der Kommunismus endgültig ausgedient. Die Utopie von Marx, Engels und Lenin hat gegen den Kapitalismus verloren. So wird behauptet. Aber leben wir nicht trotz aller Lobgesänge auf unsere soziale Marktwirtschaft in einem kommunistischem System - in gewisser Art und Weise jedenfalls?

Durchdringt eine kommunistischen Ordnung die Gesellschaft?

Gewöhnlich wird der Kommunismus als eine Wirtschaftsform und damit als der direkte Gegenspieler zum Kapitalismus behandelt. Doch wie ist er anzusehen, wenn man ihn als Gesellschaftsordnung versteht? Können dann nicht Kapitalismus und Kommunismus nebeneinander bestehen, sich sogar ergänzen?

Der Kommunismus soll wie ein Schmetterling sein, der sich über seine Larvenform des Sozialismus entwickelt. Deshalb wurde er auch noch nirgendwo verwirklicht. Allerdings scheint die Larve sehr lebendig. Ganz besonders in der kapitalistischen Welt frisst sie sich satt. Könnte das ihre eigentliche Aufgabe sein: Die Wirtschaftsform des Kapitalismus mit einer kommunistischen Gesellschaftsordnung zu flankieren?

Um das beantworten zu können, muss natürlich zuerst untersucht werden, wie eine kommunistische Gesellschaftsform funktioniert. Ihr hervorragendstes Merkmal ist der Anspruch aller Beteiligten auf den gleichen Anteil an gengemeinsam erzeugten Gütern. Das setzt die Zufriedenheit aller an dieser Form der Verteilung voraus. Dies wiederum bedingt eine Konformität der Gesellschaft.

Die Bürokratie macht die Menschen vergleichbar

Heute existieren die Menschen in einer Massengesellschaft, deren Charakteristikum das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum ist. Dazu bedarf es einer Vielzahl von Regeln, die dazu bestimmt sind, die Menschen für die Masse gesellschaftsfähig zu machen. Spontanes Handeln und hervorragende Leistungen werden auf diese Weise zugunsten der großen Vielzahl durchschnittlicher Menschen unterdrückt. "In der Massengesellschaft hat das Gesellschaftliche nach einer jahrhundertelangen Entwicklung schließlich den Punkt erreicht, wo es jeweils alle Glieder einer Gemeinschaft gleichermaßen erfasst und mit gleicher Macht kontrolliert", schreibt Hannah Arendt in ihrem Buch "Vita active oder Vom tätigen Leben". Die Massengesellschaft sei das Stadium, in der es außerhalb der Gesellschaft stehende Gruppen schlechthin nicht mehr gebe. 

Karl Marx zog aus seinen Erkenntnissen den Schluss, "dass eine Vergesellschaftung des Menschen automatisch zu einer Harmonisierung der Interessen führen würde". Sein Vorschlag, die sowieso allen ökonomischen Ideen zugrundeliegende "kommunistische Fiktion" in der Wirklichkeit zu etablieren, war daher nur konsequent. Selbst wenn Adam Smith von der "unsichtbaren Hand" des Marktes spricht, beschreibt er damit, von ihm selbst unbemerkt, das kommunistische Prinzip.

Eine "unsichtbare Hand" regiert auch die Gesellschaft. Ein "Niemand", wie Hannah Arendt es nennt, der die Menschen reglementiert und seine Regeln erbarmungslos durchsetzt: Die Bürokratie. Sie etabliert soziales Verhalten als Maßstab für das gesamte Leben des Einzelnen. Und macht die Menschen vergleichbar - wenn nicht sogar gleich.

Planbares Verhalten

Diese Vergleichbarkeit ist Voraussetzung für den Erfolg der Wirtschaftswissenschaften. Denn ihre Methode ist vor allem die Statistik. Deren Grundbedingung ist aber die Auswertung einer Vielzahl von Daten, die einheitlich zu systematisieren sind. Als Konsequenz werden nach Hannah Arendt "alle Unstimmigkeiten als Abweichungen von einer in der Gesellschaft geltenden Norm und daher als asozial oder anormal verbucht". 

In der Massengesellschaft sind keine Individuen erwünscht, sondern Marktteilnehmer, die ein vorhersagbares Verhalten zeigen. Denn darauf basieren alle Annahmen und Berechnungen, baut jede Form von Prognose und Produktion auf, bis hin zu Logistik und Personalplanungen.

Das Instrument zur Anpassung der Menschen an die Marktbedingungen sind die Medien. Ein Heer von Journalisten und Redakteuren, Marketingexperten und Öffentlichkeitsarbeitern, Werbern und auch sogenannten Influencern arbeitet ununterbrochen an der Beeinflussung und damit dem Aufbau gleicher Denkmuster bei der Masse der Menschen. Das gelingt erstaunlich gut.

Nochmals Hannah Arendt: "So ist die Realität unter den Bedingungen einer gemeinsamen Welt nicht durch eine allen Menschen gemeinsame "Natur" garantiert, sondern ergibt sich vielmehr daraus, dass ungeachtet aller Unterschiede der Position und der daraus resultierenden Vielfalt der Aspekte es doch offenkundig ist, dass alle mit demselben Gegenstand befasst sind."

Ist nicht ein wichtiges Merkmal der kommunistischen Gesellschaftsordnung die Konformität der Gesellschaft? 

Die Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen

Alles Denken wird beeinflusst von Meinungsumfragen, Posts und Kommentaren. Auch Keywords steuern die öffentliche Meinung. Das Verhalten der Bürger ist durch Arbeit, Konsum und Freizeitmöglichkeiten reglementiert. Bürokratie und Kulturindustrie leiten die Menschen Hand in Hand durch ihr Leben. Die anscheinend unüberschaubare Vielfalt der Angebote schrumpft bei näherer Betrachtung schnell zusammen. Meist werden nur dieselben Themen unendlich variiert. Eine Avantgarde wird in die gesellschaftliche Ordnung integriert, sobald sie genügend Aufmerksamkeit erregt. Wer sich nicht vereinnahmen lassen will, fällt der Vergessenheit anheim. 

Die Mitglieder der Gesellschaft hetzen von Aufgabe zu Aufgabe, von Termin zu Termin und kommen kaum dazu, Luft zu holen. Zwar erledigen sie alles offensichtlich freiwillig, aber die große Kunst einer kommunistischen Gesellschaftsordnung besteht eben gerade darin, diese Freiwilligkeit glaubhaft vorzugaukeln. Schon Mao Zedong war davon überzeugt, die Revolution müsse immer weitergehen, um die Menschen nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Der Gedanke dahinter: Wer Zeit für sich hat, denkt nach und wer nachdenkt, strebt unliebsame Veränderungen an.

Besser sollen die Gedanken der Menschen um Konsum kreisen. Im weitesten Sinne. Denn heutzutage konsumiert auch, wer eine Nachricht an seine Familie schreibt. Die übertragenen Daten werden ausgewertet und dazu benutzt, die Gesellschaft gezielt zu lenken. Shoshana Zuboff prägte dafür den Begriff "Überwachungskapitalismus". Doch erinnert das Ausspionieren der Gesellschaft auch an Gepflogenheiten in kommunistisch regierten Ländern.

Ein soziales Experiment

Das untermauert die Eingangsthese, jede kapitalistische Wirtschaftsform wird von einer Gesellschaftsordnung flankiert, die mit ihrer Reglementierung und Gleichmacherei kommunistische Züge trägt. 

Bestes Beispiel dafür ist derzeit vielleicht die Volksrepublik China. Sie geht den Weg andersherum und hat erst ein kommunistisches System errichtet, das jetzt von einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung gestützt wird. Sehr erfolgreich, wie es aussieht. Nicht umsonst überwacht der Staat seine Bürger fast lückenlos. Ziel ist nicht nur die bedingungslose Konformität der Bevölkerung, um jede Opposition auszuschließen, sondern vor allem eine umfangreiche Sammlung perfekter Daten über die Marktteilnehmer und ihr Verhalten.

In dieser Hinsicht ist China mit seiner radikalen Datengewinnung ein soziales Experiment, auf das die kapitalistische Welt interessiert schaut. Es bleibt abzuwarten, inwieweit der kompromisslose chinesische Überwachungskapitalismus Nachahmer in den westlichen Ländern findet. 

Perfekte Harmonie

Zum Teil sind sie schon auf dem Weg dorthin. Die Konformität der Gesellschaft ist nicht zu übersehen. Es gibt nicht einmal mehr Debatten, um den Schein demokratischer Auseinandersetzungen zu wahren. Die Verwaltung hat Wirtschaft und Politik fest im Griff. Themen werden von Lobbygruppen und Werbeagenturen gesetzt. Daten stammen aus Umfragen und dem Internet. Suchmaschinenoptimierung ist für die Meinungsbildung wichtiger, als stichhaltige Argumente. 

Über allem steht die perfekte Harmonie zwischen kapitalistischer Wirtschaftsform und kommunistischer Gesellschaftsordnung. Sie erst verwandelt die Menschen in planbare und willfährige Marktteilnehmer. Was natürlich im Nachhinein den sogenannten Kalten Krieg ad absurdum führt. Es ging dabei nie um einen Kampf der Systeme, sondern um die Verteilung von Ressourcen. Nebenbei war er die perfekte Ablenkung der Menschen von Affären und Skandalen im eigenen Land. Er gab ihnen das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen und für eine gerechte Sache einzustehen. Auf beiden Seiten selbstverständlich, was keine Ironie ist, sondern veranschaulicht, wie die Menschen von ihren Regierungen hinters Licht geführt und für die Interessen der Massengesellschaft benutzt werden.

Die Stärke der kapitalistisch-kommunistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist ihre Subtilität, mit der Marktteilnehmer überwacht und ausgebeutet werden. Denn die Menschen glauben in Freiheit zu leben und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, während sie von den Regeln der Bürokratie und den Themen der Meinungsmacher geschickt gelenkt werden. Wer dagegen rebelliert, gilt nach den Worten von Hannah Arendt als asozial und abnormal. In der Massengesellschaft gehe es nicht um Handeln, sondern um ein sich-verhalten. Das oberste Ziel ist Konformität. Genau dies ist das kommunistische Prinzip in unserer Gesellschaftsordnung.

Sonntag, 23. Oktober 2022

Selfie-Kultur

Eine enggedrängte Menschenmenge reckt die Arme empor und schießt Selfies
Am Ende des Romans "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" von Marcel Proust gibt es eine erleuchtende Szene. Der Ich-Erzähler kommt nach längerer Abwesenheit zurück in den Pariser Salon und stellt fest, wie alt all seine Bekannten geworden sind. Dann blickt er zufällig in einen Spiegel und erkennt erstaunt sein eigenes Alter.

Eine Szene, die heute nicht mehr denkbar ist. Die Selfie-Kultur hat die Sichtweise auf uns selbst und unsere Welt radikal verändert. Unsere Wahrnehmung geschieht nicht mehr per Zoom, sondern in Slow Motion. Tausende von Fotos begleiten fast jedes Leben. Momente werden ständig aufgezeichnet und Erinnerungen am laufenden Band produziert. Die Banalität des Alltäglichen als mediale Inszenierung.

Einblick in private Momente

Dabei geht es hauptsächlich darum, das vorgestellte Selbstbildnis zu transportieren. Nicht, um den eigenen Erwartungen zu entsprechen, sondern den Erwartungen einer Community, die aus real Bekannten und anonymen Follower besteht. Waren es bei Proust noch leibhaftige Menschen, die sich eine lange Zeit in ihrer Lebensspanne begleitet haben, über deren Veränderung der Protagonist erschrak, ist es heute oft ein schneller Wechsel von kurzzeitigen Begegnungen. Das Interesse hat dementsprechend meist eine knappe Spanne.

Diese Selfie-Kultur verändert den Blick auf uns selbst ebenso, wie unseren Blick auf die Welt. Denn was sehen wir heute? Vor allem die Selbstdarstellung anderer Menschen. Zudem haben wir und geben wir viel mehr Einblick in private Momente als noch vor einigen Jahren. Wir öffnen die Fenster und lassen unsere Nachbar zuschauen, wie wir leben. Gleichzeitig blicken wir auch ihnen permanent über die Schulter.

Was bewirkt das in uns? Vor allem zeigt es uns, was andere machen und haben. Die intimen Einblicke animieren uns, auch so leben zu wollen. Wir schauen uns ab, wie andere leben und konsumieren, was sie konsumieren.

Neu ist der alltägliche Blick auf uns

Interessanterweise schärfen die engen medialen Beziehungen zu anderen Menschen nicht unsere Wahrnehmung in Bezug auf Leid und Elend. Die Nutzer sozialer Netzwerke engagieren sich nicht überdurchschnittlich für Randgruppen der Gesellschaft. Sie sind anscheinend mehr am Vergleich mit ihrer Peer Group und Bessergestellten interessiert. 

Die Selfie-Kultur führt zum Voyeurismus Gleichartiger. Es gibt keine anderen Informationen als: "Seht her, das bin ich, das macht mich aus, das kann ich mir leisten, macht es mir nach!" Sie ist eine Kultur des Erlebens aus zweiter Hand, des Mitlebens und des Konsums. Das Teilen von Augenblicken gibt ihnen einen Wert, der nur empfunden wird, weil andere ihm durch Kommentare und weitere Ausdrücke des Wohlgefallens diesen Wert zumessen.

Diese zwei Fragen stellen sich: Verlieren wir selbst den Maßstab für den Wert unseres Lebens? Bemisst sich das Sein zunehmend nach der Anzahl von Follower und Kommentaren, also nach der Wahrnehmung in der digitalen Welt?

Auf den ersten Blick macht es keinen Unterschied, ob wir Anzug oder Kleid kaufen, um auf einer Veranstaltung gut auszusehen oder uns vor der Kamera inszenieren. Doch das täuscht. Neu ist der alltägliche Blick - von uns selbst und von anderen. Wir haben kaum noch unbeobachtete Momente. Die unheimliche Dimension der Selfie-Kultur ist der Zwang zur Mitteilung, um das Gefühl eines wertvollen Lebens in den Augen anderer zu haben. Sie entzieht uns die Auseinandersetzung mit uns selbst im Alleinsein. Damit erliegen wir mehr und mehr der Kontrolle der Masse.

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