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Montag, 15. Mai 2023

Ein Mechanismus zum Umverteilen von Geld

Obwohl Geld oft keine Motivation für mehr Arbeit darstellt, ist es doch das wichtigste Bindeglied einer Gesellschaft
Das lässt sich heute weltweit beobachten. Unabhängig vom jeweils herrschenden System. Die Werkzeuge sind derzeit der Konsumismus sowie die Übernahme und Analyse von Daten. War es früher hauptsächlich Religion, die Werten sichtbare Gestalt gegeben hat, sind die modernen Wahrzeichen Konsumtempel und soziale Medien. Deren Versprechen auf Glück erfüllen sich nicht erst im Jenseits, sonder im Hier und Jetzt. Es ist dieses nachprüfbare Versprechen, das die Heilsbotschaft des Konsumismus und des Datentransfers glaubwürdig und authentisch machen. 

Konsumismus lenkt die Gedanken der Menschen

Überraschend spielt Geld nicht eine gleichwertige Rolle. Inzwischen ist bekannt, dass es für die meisten Menschen keine Motivation darstellt, immer mehr Geld anzuhäufen. Irgendwann setzt das Gefühl ein, genug Geld zu haben. Was also ist der Grund für den Glauben an Konsumismus und den Markt?

Es funktioniert. Jeder kann es leben. Beides ist fassbar, leicht zu erklären und sogar noch leichter zu erlernen. Vor allem aber verschafft es Anerkennung und Ansehen.

Seit der Mensch vor Millionen von Jahren begonnen hat, die Erde zu bevölkern, ist es innerhalb einer Gruppe von Vorteil, ein besonderer Mensch zu sein. Der beste Jäger, die beste Sammlerin, der Stärkste, der Geschickteste oder sonst ein außergewöhnliches Mitglied der Gruppe. Heute ist es nicht anders. Jeder Mensch möchte im Mittelpunkt stehen. Das ist die entscheidende Motivation für viele, sich anzustrengen: Anerkennung. Zumal Anerkennung oft mit Macht über andere Menschen einhergeht, was die Motivation zusätzlich steigert.

Der Konsumismus ist ein weltweites Phänomen. Er ist die vielleicht erste und einzige globale Bewegung, die alle Menschen hinter einer Idee vereint. Wie kommt es dazu? Weshalb setzt sich gerade diese Idee durch? Zum einen, weil der Mensch das Konsumieren im weitesten Sinne von Anbeginn gewohnt ist. Er musste sich immer um seine notwendigen Lebensgrundlagen bemühen. Deshalb haben die Menschen von Natur aus diese Gemeinsamkeit.

Doch es steckt mehr dahinter. Der Konsumismus ist keine Ideologie, die irgendeine Staatsform infrage stellt. Im Gegenteil: Er passt sich an jede Regieruns- und Lebensweise an. Sein einziges Ziel ist der Verkauf seiner Güter. Ansonsten mischt er sich in nichts ein, jedenfalls nicht direkt und offensichtlich. Er hat seine eigenen Werte, die denen von Staaten nicht widersprechen. Es geht um maximale Gewinne, bei minimalen Einsätzen. Dagegen hat kein Staat der Welt etwas einzuwenden.

Konsumismus vereinheitlicht die Welt

Unter seiner Oberfläche ist der Konsumismus allerdings weit mehr als nur ein Mechanismus zum Umverteilen von Geld. Er bindet die Menschen zum Beispiel an Arbeit, damit sie sich seine Waren leisten können. Darüber hinaus vermarktet er ihre Lebenszeit. Jed mehr sie konsumieren, desto weniger Zeit bleibt zum Nachdenken, für Protest und Revolte. Der Konsumismus lenkt die Gedanken der Menschen, ihr Handeln und Fühlen in nur eine Richtung. Sie erfüllen sich Wünsche und Träume, die der Konsumismus ihnen vorgibt. Die meisten davon sind nicht notwendig.

Der Konsumismus mischt sich in alle menschlichen Lebensbereiche ein. Er ist zu einer bestimmenden Kraft der Gesellschaft und des Lebens geworden. Äußere Zeichen seiner Macht sind die Läden und Geschäfte, die überall auf der Welt die Stadtbilder dominieren. Mehr und mehr gleich sich Städte durch den Einfluss international operierender Ketten immer weiter an. Nicht von ungefähr wurde McDonalds lange Zeit scherzhaft als amerikanische Botschaft bezeichnet.

Dennoch stellt der Konsumismus zunächst keine Gefahr für irgendeine Gesellschaftsform dar. Schließlich schafft er lediglich ein Angebot. Niemand wird von ihm gezwungen, zu konsumieren. Jedenfalls nicht über die notwenigen Lebensgrundlagen hinaus. Der Konsumismus scheint eine vollkommen demokratische und friedliche Institution zu sein. Sein einziger Zweck ist die eigene Erhaltung und Ausbreitung. Allerdings überzieht er dadurch die gesamte Erde mit einem Netz aus gut sichtbaren Handelszentren, die durch Zusammenschlüsse immer einheitlicher werden und damit landestypische Unterschiede verwischen.

Der Konsumismus vereinheitlicht die Welt. Selbst ein Land wie China, das nach eigenem Selbstverständnis kommunistisch geführt wird, ist im Grunde konsumistisch orientiert. Den meisten Bürgern kommt es weniger auf unumschränkte Freiheit, als auf unbeschränkten Konsum an. Dafür sind sie bereit, sich dem Staat unterzuordnen und darüber hinaus viel zu arbeiten. Wie auch die Menschen in kapitalistisch oder sonst wie geführten Staaten. Nur wo der Konsumismus verweigert wird oder nicht gut funktioniert, revoltiert die Masse. Solange sie aber das Gefühl hat, Teil des globalen Konsumismus zu sein, schweigt sie. 

Der Wert eines Menschen lässt sich beziffern

Wie konnte sich der Konsumismus unumschränkt durchsetzen? Er folgt auf das Zeitalter der Ideologien, die sich spätestens mit dem Untergang des Kommunismus in der ehemaligen Sowjetunion und weiten Teilen der Welt bis nach Afrika und Südamerika allesamt erledigt haben. Es gibt nur noch Parteien, es werden Abgeordnete gewählt. Doch unterscheiden sie sich praktisch kaum noch voneinander. Regierungen sind nur noch Institutionen zur Verwaltung eines Landes. Themen werden von Lobbyisten und Marketingagenturen gesetzt, deren wichtigstes Hilfsmittel Umfragen sind, mit denen abgefragt wird, was die Masse bewegt und wie zufrieden sie ist. Es gibt weder Klassen, noch Klassenkämpfe. Keiner setzt sich mehr für irgendwelche politischen Theorien ein. Es gibt nur noch Marktteilnehmer, die sich nach ihrem Einkommen unterscheiden sowie nach Zufrieden- und Unzufriedenheit. 

Die gute Nachricht: Auf dem Markt sind alle Menschen gleich, er unterscheidet nicht nach Rasse und Religionszugehörigkeit. Der Markt qualifiziert nach vorhandenen Mitteln. Insoweit unterscheidet er die Menschen, aber er grenzt sie nicht aus. Jeder bekommt, was er sich leisten kann. Allerdings ist ihm der Mensch auch nicht mehr wert, als sein jeweiliges Vermögen. Der Wert eines Menschen lässt sich im Konsumismus mit einer Zahl beziffern.

Samstag, 29. Oktober 2022

Die Wiederentdeckung des Füllfederhalters

 

Stilisierte Handschrift auf einer weißen Banderole auf schwarzem Hintergrund
Überhaupt die Wiederentdeckung der Handschrift. Ohne Autokorrektur und in einem ganz eigenen Stil.

Welch weiten Weg sind wir seit der Erfindung der Schrift gegangen: Von Ton und Stab über Papyrus und Federkiel, Bleistift und Füllfederhalter bis zum mobilen Computer, der uns die Rechtschreibung vorschreibt und das Denken abnimmt.

Kulturkampf per Fingertip

Viele Schüler sind heute schon nicht mehr daran gewöhnt, ohne Unterstützung zu schreiben. Ihre Texte bestehen oft aus unverständlichen Wortneuschöpfungen, die einen Sinn schwer entzifferbar machen. Dafür beherrschen sie das Tippen mit zwei Daumen in Perfektion und verwenden spielend eine unüberschaubare Zahl von Emojis.

Kulturelle Fertigkeiten verschieben sich. Eltern, die als Kinder Ärger bekamen, weil sie Comics lasen, erleben heute, wie ihre eigenen Kinder und Enkel per Bildchen kommunizieren. Und natürlich per Video. Neulich wurde eine Schule weltweit bekannt, weil ein muslimisches Mädchen von der Toilette aus ohne Kopftuch ein Modevideo gepostet hat. Kulturkampf per Fingertip.

Zurück zur Handschrift. Was geht uns alles verloren, wenn wir nur noch in mobile Geräte tippen? Die Handarbeit. Das sinnliche Erleben des Übergangs von gestaltlosen Gedanken zu einem greifbaren Eintrag auf einem Stück Papier, handgeschöpft vielleicht, das sich glatt, fest und doch zugleich empfindlich anfühlt. Das einen Geruch hat und eine Oberfläche, die den Fluss der Tinte aufnimmt und Gedanken damit ein Aussehen verleiht, eine Erscheinung in Form einer ganz eigenen, einmaligen Handschrift.

Genau genommen ist eine handschriftliche Textseite auch ein Bild. Jede einzelne Seite ist ein Bild. Diese Bilder erzählen Geschichten. Ein Leser muss sich nur die Mühe machen, sie zu - lesen. 

Literatur löst kaum noch Debatten aus

Schrift ist beständig. Noch nach fast 5000 Jahren wissen wir von der historisch ersten Autorin, die ihr Werk namentlich gezeichnet hat: En-hedu-ana, Hohepriesterin des Mondgottes Nanna in der südmesopotamischen Stadt Ur. In sehr persönlichen Texten trägt sie mit viel Leidenschaft ihre Gefühle vor, darunter trübe Gedanken über Leiden und Schicksal, über menschliches Tun und göttliche Vergeltung.

Was für ein Unterschied zu den vergänglichen 24 Stunden von Snapchat. Heutige Geschichten sind dagegen bloße Wegwerfprodukte. Sie werden konsumiert, kaum aufgenommen und nicht diskutiert. Literatur löst keine hitzigen Debatten mehr aus.

Nur, weil die Handschrift verlorengeht? Na klar, wir verlieren den direkten Bezug zu unseren festgehaltenen Gedanken. Die Mitteilung ist zur digitalen Massenware geworden. Leser können nicht sicher sein, die originalen Worte eines Mitmenschen zu lesen. Selbst der kleine Eingriff der Autokorrektur verändert alles. Es gibt keine Streichungen mehr, keine Gelegenheit, Veränderungen im Text nachzuvollziehen. Ganz abgesehen von den zum Teil sinnentstellenden Neuworten. Gedanken werden zensiert. Möglicherweise noch nicht mit der Absicht einer Zensur, aber doch ist es ein Eingriff, der verfälscht. 

Gedanken in der Hand behalten

Wir leben also in einer Zeit der massenhaften Verfälschung. Der Sinn menschlicher Gedanken wird ständig entstellt - und die Nutzer finden das vollkommen normal. Sie wollen es sogar ausdrücklich. Denn sie ersparen sich die Auseinandersetzung mit ihren eigenen Texten. Damit aber auch mit ihren ureigensten Gedanken. Sie lassen zu, von einem Algorithmus bevormundet zu werden.

Es ist auch nicht nur die Autokorrektur. Längst werden ganze Texte von Computern geschrieben und Videos von künstlicher Intelligenz produziert. Die Menschen lassen sich im wahrsten Sinne des Wortes ihre Gedanken aus der Hand nehmen. 

Deshalb ist die Handschrift wichtig. Um die eigenen Gedanken in der Hand zu behalten.

Die unverwechselbare Signatur des Schreibens

Gut, es gab bereits die Entwicklung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Schon dadurch wurde Literatur zur Massenware. Aber sie blieb wenigstens Handarbeit. Selbst die Zensur musste mit eigener Hand eingreifen. 

Das Unheimliche heute ist das Heimliche. Ohne Handschrift keine sichtbaren Veränderungen. Ob Mensch oder Computer: Bei einem getippten Text ist die Typografie dieselbe, jede Handschrift dagegen einzigartig. Die unverwechselbare Signatur des Schreibers. 

Also kehren wir zurück zum Füllfederhalter, der geschmeidig in unserer Hand liegt und mit dem Fluss seiner Tinte unseren Gedanken schwungvoll Kontur verleiht. 

Der Charme der Handschrift ist ihre Unvollkommenheit. Die Streichungen im Geschriebenen, die verschmierte Tinte irgendwo, der Knick im Papier. All das sind wir, das ist authentisch menschlich. Der glatte Text, fehlerfrei durch moderne Technik, korrekturgelesen und hinterfragt von einem Algorithmus, ist es hoffentlich nicht.