Donnerstag, 18. Mai 2023

Der Konsument hat keine Zeit mehr zu flanieren

Ob ein großer Blumenstrauß oder andere Produkte - der Konsumismus stellt alles gegen den Verzicht auf Freiheit bereit

Jeder steht für sich selbst ein. Die eigene Tasche ist tief. Gesellschaftliches, zumal ehrenamtliches Engagement, wird klein geschrieben. Verbindlichkeit nimmt ab. Überhaupt ist die Verbindung zwischen den Menschen lockerer. Beziehungen und Freundschaften wechseln schneller. Alles dreht sich um das Befinden des Ich, wenig darüber hinaus. 

Der Flaneur ist Beobachter des Marktes

Kaschiert wird die egozentrische Gesellschaft dadurch, dass das Ich fortwährend in neuem Gewand erscheint. Nie als Konsument, dafür gibt es andere Namen. Es wird geshoppt, eingerichtet, ergänzt, ausgetauscht, liebevoll gestaltet gebummelt und ein Erlebnis im Einkaufszentrum zelebriert. Nur konsumiert wird nicht. Dieses Wort taucht so gut wie nicht um allgemeinen Sprachgebrauch auf. Gerader, was allgegenwärtig ist, wird nicht ausgesprochen. Auch einer der Werte der modernen Konsumgesellschaft. Besondere Worte für selbstverständliche, alltägliche Tätigkeiten. Mit der Sprache wird aufgewertet, verharmlost, verschleiert und verniedlicht. Nur direkt benannt wird mit ihr im Konsumismus selten. Denn alles ist cool und mega. Wohin führt es uns, wenn wir unsere Handlungen nicht länger als solche kennzeichnen?

Der Konsumismus ist kein neues Phänomen. Schon der Philosoph Walter Benjamin beschrieb das Erscheinen des klassischen Flaneurs im 19. Jahrhundert um Zusammenhang mit dem Entstehen der Pariser Passagen, durch deren bunte Warenwelt sich der Flaneur treiben läßt. „Der Flaneur ist der Beobachter des Marktes“, notiert Benjamin. So bewegt er sich innerhalb kapitalistischer Strukturen und damit des Konsumismus.

Richtungswandel durch neue Werte

Heute freilich hat der Konsument keine Zeit mehr zu flanieren. Zum einen wird der Konsumismus immer schneller, andererseits verlagert er sich in Onlinewelten. Inzwischen arbeiten Konzerne am Metaversum, in dem wir mit persönlichen Avataren leben und vielleicht auch arbeiten sollen. Konzipiert sind die Simulationen als glitzernde, Aufmerksamkeit heischende, fantansievolle Abbildungen einer anderen Realität, die den Menschen, nicht weiter verwunderlich, vor allem als Konsumenten ansprechen.

Es sieht so aus, als opfere die Menschheit für den Konsumismus ihre Chance auf einen Weg vorsichtiger Annäherung an ein friedliches, die gemeinsamen Lebensgrundlagen weniger belastendes Miteinander. Die Herausforderung besteht darin, die Notwendigkeit des Konsums zu akzeptieren und gleichzeitig das Konsumieren in eine alternative Organisation unserer Zusammenlebens zu integrieren. Ein wahrer Richtungswandel kann aber nur durch die Annahme neuer Werte entstehen, die im kollektiven Strom geborgen und gesellschaftliche ausgehandelt werden müssen.

Die Vergangenheit ist kein Wert

Wie können solche Werte aussehen? Sie sind ein Abschied vom heutigen Bild des Menschen als Individuum. Es muss Schluss sein mit einer Überhöhung von Werten, um Traditionen aufrecht zu erhalten, die es in dieser Form nie gab. Oftmals bilden sich Legenden, die Werte etablieren, deren frühere Existenz von zweifelhaftem Wahrheitsgehalt ist. Wenn etwa das Landleben glorifiziert wird oder der Zusammenhalt mancher Landsmannschaften. Die Vergangenheit ist kein Wert an sich, sondern dient nur der Vertuschung der Nichtexistenz von Werten, die ihr heute angedichtet werden, um die Gegenwart zu manipulieren.

Werte sollen aber die Gegenwart repräsentieren, ohne sich auf etwas zu stützen, das heute nicht mehr nachprüfbar ist. Sich der Vergangenheit zu erinnern darf nicht zu einer Übernahme führen. Die Werte treffen nicht auf dieselben Bedingungen und machen sich deshalb lächerlich oder mutieren zu Monstern, die alle und jeden ins Unglück stürzen oder unter Umständen sogar vernichten. Brauchtumspflege ist angemessen als eine Form der Erinnerung, auf keinen Fall als Lebenskonzept für die Gegenwart.

Mittwoch, 17. Mai 2023

Freiheiten verschwinden klammheimlich

Wie die Ritter auf diesem Bild, müssen sich Menschen für die Verteidigung ihrer Freiheiten rüsten
Das ist ein Widerspruch des gängigen Freiheitsverständnisses. Gilt der Einzelne in der westlichen Gesellschaft doch als weitgehend frei. Dabei wird allerdings vergessen, dass Freiheit immer nur im gesellschaftlichen Rahmen gewährt werden kann. Um diesen Rahmen herum wird allerdings viel getan, um die Illusion von Freiheit entstehen zu lassen und aufrecht zu erhalten. So wählt der Einzelne selbst, wieviel Zwängen er sich aussetzt und wie hoch er die Mauern um sich her aufrichten möchte. Dabei gilt: Je mehr Teilhabe an den Angeboten der Gesellschaft, desto größer die geforderte Anpassung und damit einhergehende Einengung. Denn die Leistungen der Gesellschaft, wie zum Beispiel Sicherheit, kosten die Freiheiten der Bürger.

Die Gesellschaft muss sich ständig zeigen

Der Einzelne trifft seine Wahl und verstrickt sich damit immer tiefer im Netz der Gesellschaft, das manchmal auch als bequeme Hängematte bezeichnet wird. Doch auch eine Hängematte ist bei genauerer Betrachtung ein Netz. Er fügt sich, indem er Kredite aufnimmt, ein Haus baut, Familie gründet. Von da an hat er keine Wahl mehr. Der Mensch muss in der Gesellschaft funktionieren, um seine Verpflichtungen zu erfüllen und sein Leben fortführen zu können. Ansonsten wird er schleichend herausgedrängt.

Im Gegenzug ist die Gesellschaft omnipräsent. Sie muss sich ständig zeigen, damit die Menschen an sie glauben. Denn ein Staatsgebilde ist ohne den Glauben der Masse schlichtweg nicht existent. So etwas wie eine Nation denken sich die Menschen ja nur aus. Ohne ihren Glauben an ein solches Konstrukt gibt es den Nationalstaat nicht. Deshalb müssen auf öffentlichen Gebäuden Fahnen wehen, müssen Polizisten in Uniform durch die Straßen laufen, müssen Medien ständig berichten. Wenn der Staat im Gespräch ist, versichert er sich seiner eigenen Existenz und zeigt sie vor den Leuten. Die Umwandlung von einer bloßen Idee zu einem Konstrukt, das Bestand hat, findet in den Köpfen der Menschen statt. Nur solange sie daran glauben, dass ihre Handlungen, beispielsweise das Mitführen eines Personalausweises und das Einhalten von Gesetzen, einen Nutzen haben, ist der Staat existent und Leute werden zu seinen Bürgern.

Es bleibt nur die Freiheit des Konsumierens

Die Menschen gehen einen Deal mit sich selbst ein, wie sie auch, wenn sie einen Gott anrufen, zu sich selbst beten. Der Deal lautet: Gebe Freiheit gegen Teilhabe und Schutz. Vielleicht meinen die Menschen diesen Deal, wenn sie davon sprechen, ihre Seele dem Teufel zu verkaufen, denn sie lassen sich auf einen Pakt ein, der ihnen in der Masse materiellen Wohlstand gegen geistige Armut einbringt. Natürlich gibt es Bildung und entsprechende Einrichtungen zur Vermittlung von Wissen. Aber die sollen Bürger nur lehren, was sie im Sinne des Systems wissen müssen. Nicht von ungefähr werden die Universitäten ohne viel Aufhebens - und, bemerkenswert, ohne großen Protest - von einem Hort des freien und kritischen Denkens zu mehr oder weniger weiterführenden Schulen degradiert. Obwohl die meisten Studenten schon vorher selten über den Tellerrand ihres Lernpensums geschaut haben, hätten sie aber wenigsten die Möglichkeit dazu gehabt, was den heutigen Studenten fast vollkommen verwehrt bleibt.

Freiheiten verschwinden klammheimlich im Dschungel der Bürokratie. Im Grunde bleibt nur eine Freiheit erhalten, die auch von Staat und Gesellschaft nach Kräften gefördert wird: Die Freiheit des Konsumierens. Diese Freiheit meinen Menschen auch, wenn sie davon sprechen, frei zu sein. Denn in diesem Bereich haben sie tatsächlich alle Freiheiten, vorausgesetzt, sie verfügen über ausreichend Geld. Was das Pendel in den Bereich der Scheinfreiheit ausschlagen lässt.

Die Reaktion auf gesellschaftliche Leere

Die Werte einer Gesellschaft wandeln sich mit ihrem Entwicklungsstadium. Eine Aufbauphase charakterisiert sich durch Fleiß und hohe Arbeitsmoral. Wohlstand wird geprägt von Überschuss und vermehrtem Besitz. Die Konsumgesellschaft geht über diese Abschnitte hinaus. Sie ist eine Phase der Stagnation, in der es kaum Visionen und gesellschaftliche Ziele gibt. Es bleibt nur, das zu erhalten und auszubauen, was längst da ist. Im Grunde eine Phase großer Langeweile, in der Angst vor dem Abstieg umgeht, sich aber niemand verantwortlich fühlt, den Status quo zu verändern. Schließlich geht es allen mehr als gut. 

Der Konsumismus ist die Reaktion auf gesellschaftliche Leere, in der niemand inhaltlich etwas beizutragen hat, weil keinem anderes einfällt, als stur weiterzumachen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Der Staat wir nur noch verwaltet, er ist nicht mehr zu Innovationen fähig.

Welche Werte bringt der Konsumismus hervor? Den Wert des Materialismus. Geld wohnt ein Zauber inne. Alles ist käuflich. Auch Gesundheit und Jugend. Schönheit kann per Katalog erworben werden. Kinder lassen sich planen und optimieren. Das Leben ist ein einziger Event. Selbst das Alter lässt sich hinausschieben, auch Greise dürfen noch eine jugendliche Attitüde an den Tag legen. Darüber hinaus?

Dienstag, 16. Mai 2023

Konstruierte Wichtigkeit

Fußgänger wandern durch eine Straße, aber welche, wissen sie nicht
Das Private wird in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt. Je mehr die Arbeitswelt mit dem häuslichen Umfeld verschmilzt, desto stärker wird diese Tendenz. Sie hat aber schon mit der industriellen Revolution begonnen, als die Arbeiter in die Städte strömten und ihre Heimat verloren. Damals waren die Wohnverhältnisse beengt und ein Großteil des Lebens fand auf der Straße statt.

Heute ist es anders. Die Menschen wollen ihr Leben öffentlich machen. Sie messen allem, was sie tun, eine so große Bedeutung zu, dass es zumindest fotografiert und geteilt werden muss.