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Sonntag, 12. November 2023

Die Individualität der Masse

Der einzelne Mensch sucht nach Individualität, geht aber in der alles gleichmachenden Masse unter.
Die Einzelnen sind die kleinsten Bestandteile einer Masse. Ähnlich Wassermolekülen, die zusammen einen stillen See, reißenden Fluss oder Tropfen auf einem regennassen Blatt bilden. Weil diese kleinsten Bestandteile sehr zahlreich sind und sich im Grunde alle gleichen, müssen sie ihre Individualität betonen, um sich voneinander abzuheben. Deshalb lassen sie sich Tattoos stechen, die Haare zu auffälligen Frisuren zurechtmachen und ihre Körper auf weitere originelle Arten gestalten. Beliebt sind auch abgefahrene Klamotten, modische Accessoires, teure Vehikel und Luxusimmobilien. Je nach Bedarf und Kaufkraft. Bei all dem geht es darum, der Masse zu entfliehen. Doch das ist unmöglich. Wir alle kleben durch Kräfte aneinander, die sich kaum lösen lassen: Familienbanden, Freundschaften, gesellschaftliche Verpflichtungen, Erwerbstätigkeit, Freizeitaktivitäten und die Dinge, die uns umgeben. Gerade wegen dieser offensichtlichen Gleichheiten sind die einzelnen Menschen ständig auf der Suche nach Einzigartigkeit, mit der sie sich von anderen abheben. So entsteht in Kunst und Gesellschaft die Avantgarde. Seien es die Punkbewegung, Rap und Graffiti oder Modestile. Diese neuen Trends sind kurzfristig tatsächlich individuell, bevor die Masse sie für sich entdeckt. Dann werden sie gleichsam aufgesogen und adaptiert. Als massentaugliche Produkte prägen sie ein Lebensgefühl zu einer gewissen Zeit, verlieren dadurch aber nicht nur ihre Individualität, sondern auch jede inhaltliche Aussage. Die Aufbereitung für die Masse verdammt neue Trends zur Bedeutungslosigkeit durch Gleichmacherei. 

Gruppenrituale

Gibt es also so etwas wie Individualität überhaupt oder ist die Idee von der Einzigartigkeit ein bloßes Hirngespinst? Das Ich als ein in sich abgeschlossener körperlicher und geistiger Raum mit einer eigenständigen Ideen-, Gefühls- und Erlebniswelt ist im Laufe der Menschheitsgeschichte ständig angewachsen. Dabei entfernten sich die einzelnen Individuen mehr und mehr voneinander. So sehr, dass sie sich bald gegeneinander abgrenzten. Sie erkannten ihr eigenes Sein und das Ich der Anderen. Doch erkannten sie sich auch in den Anderen. Das Ich fühlte sich zum Ich hingezogen. Obwohl es ihm fremd erschien, war es ihm gleichermaßen vertraut. Es dachte ähnlich, es verhielt sich ähnlich. Und doch war es verschieden, getrennt durch eine körperliche Barriere. Weil sie getrennt waren, kamen die einzelnen Ichs sich ständig in die Quere, auch oder vielleicht gerade aufgrund ihrer Ähnlichkeiten. Sie wollten dasselbe, doch nur ein Ich konnte es haben. Das führte zur Konkurrenz und die Konkurrenz zur Abgrenzung – denn kein Ich wollte gegen ein gleiches Ich antreten. Besonders augenscheinlich ist diese Abgrenzung in den Uniformen und Fahnen verschiedener Armeen zu erkennen. Ein Ich tötet leichter ein fremdartig erscheinendes anderes Ich als ein ähnliches. Je weniger ein Ich einem anderen Ich gleicht, desto größer die Wahrscheinlichkeit einer Konfrontation. Deshalb entwickeln Gruppen gemeinsame Rituale. Sie sind identitätsstiftend und geben jedem Ich, das die Rituale kennt und ausführt, ein Gefühl seiner Zugehörigkeit. 

Das Ich geht weitgehend im Wir der Gruppe auf

Werte entstehen in diesem Fall als eine Art Uniform. Nur Angehörige einer Gruppe wissen um die richtigen Werte, verinnerlichen sie und wenden sie korrekt an. Fremde gehen mit den Werten wie mit einer gelernten Sprache um: Sie verlieren selten ihren Akzent, benutzen Redewendungen in falschen Zusammenhängen und kommen kaum mit Slang oder Mundart zurecht. Unweigerlich fallen sie auf und werden als nicht zugehörig erkannt. Ein Asiat in Lederhose ist genauso exotisch, wie ein sprechender Papagei. Niemand führt mit einem Papagei eine ernsthafte Unterhaltung und der Asiat in Lederhose wird niemals ein waschechter Bayer sein. Werte verbinden und grenzen gleichzeitig aus. Sie geben jedem Ich eine Kennung, die es mit anderen Ichs teilt. Damit schränken sie Individualität ein, betonen aber einen Gruppencharakter. Werte machen den Anderen zum Freund oder Feind, indem sie sein Verhalten reglementieren und die Reaktion dokumentieren. Bezeichnend ist das Verhalten der sozialistischen Arbeiterbewegung zu Beginn des ersten Weltkriegs im Sommer 1914. Trotz eines jahrzehntelang beschworenen Internationalismus stellten sich die jeweiligen Arbeiterbewegungen der Länder nach nur kurzer Diskussion hinter die Regierungen ihrer Nationalstaaten, um gegen ihre „Klassenbrüder“ in den Krieg zu ziehen. Ein schwerer Rückschlag für die Idee einer solidarischen Arbeiterschaft. Fahnen und Hymnen der eigenen Gruppe sind im Zweifel wertvoller als gemeinsame wirtschaftliche und politische Interessen innerhalb verschiedener Gruppen. Die eigene Individualität wird dabei den Werten der Gemeinschaft untergeordnet. Die Uniformität der Werte materialisiert sich beispielsweise in dem millionenfachen Soldatenrock. Das Ich beschränkt sich auf ein Minimum seiner selbst und geht weitgehend im Wir der Gruppe auf.

Merkmale verstärken Vorurteile

Dagegen werden die Ichs außerhalb der Gruppe geradezu entmenschlicht – zum Beispiel durch schlechtes Gerede, abwertende Witze und entstellende Karikaturen. Ihnen werden die Werte der Gruppe abgesprochen und sie erhalten das Etikett „böse“. Dabei werden gewissen Verhaltensweisen, Glaubenssätze und äußerliche Merkmale als Stereotype für die gesamte Gruppe verwendet. Werden sie weit genug gefasst, treffen einige davon auf die meisten Menschen der ausgewählten Gruppe zu. Allerdings nicht nur auf sie, sondern auch auf zahlreiche Menschen anderer Gruppen – was geflissentlich übersehen wird. Keine Gruppe – und auch kein einzelner Mensch – lässt sich ausschließlich durch einzelne Merkmale beschreiben. Doch sind diese Merkmale immer Teil einer Gruppe und eines Menschen. Werden sie besonders betont, fällt das Augenmerk Anderer bald auf sie und nach einiger Zeit werden sie aus Gewohnheit der Gruppe oder dem Menschen zugeordnet. Ist der Blick durch Manipulation getrübt, lässt sich aus dem Aussehen jedes Menschen ein negatives Bild oder eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit herauslesen. Manchmal übrigens auch ohne jegliche negativen Absichten. Ist zum Beispiel der Beruf eines Menschen bekannt, sieht er plötzlich auch wie ein Arzt, Professor, Handwerker, Lehrer oder Landwirt aus. Merkmale verstärken Vorurteile. Manch einer stört sich an der typisch genannten lärmenden Lautstärke von Südländern, ohne zu bemerken, dass er aufgrund seiner eigenen Schwerhörigkeit selbst sehr laut spricht und seiner Umgebung damit auf die Nerven geht. Doch die Mitmenschen, die seiner Gruppe angehören, sehen darüber hinweg und schimpfen über die viel zu lauten Ausländer.


Samstag, 10. Juni 2023

Freiheit, nach der Menschen streben

Vielleicht besteht Freiheit in der vollkommenen Anonymität einer Hochhaussiedlung
Was also ist diese Freiheit? Ein Meme im Geist eines jeden Menschen. Sie ist nichts und alles. Ein Gedanke, der sich festsetzt und fortan in das Leben integriert werden will. Er zwingt seinen Wirt, tätig zu werden. Für den einen besteht Freiheit in einer Weltreise, ein anderer möchte einen großen Garten bewirtschaften, der dritte tagelang im Bett liegenbleiben, wieder andere sich irgendwo engagieren oder jedes Wochenende mit Freunden feiern gehen. Die Möglichkeiten, Freiheit zu empfinden, sind nahezu grenzenlos. Sie sind für jeden Menschen verschieden, auch wenn es zahlreiche Schnittmengen gibt. Kennzeichen aller Freiheiten innerhalb einer Gesellschaft ist ihre weitgehende Komptabilität mit den Werten und Regeln dieser Gesellschaft. Freiheiten, die einer Gesellschaft zuwider laufen, können entweder gar nicht oder nur heimlich ausgelebt werden. Eine offene Inanspruchnahme dieser Freiheiten führt zu Konflikten, in denen beide Seiten versuchen, ihre kontroversen Werte durchzusetzen. Meist obsiegt die Gesellschaft, doch manchmal setzt ein Wertewandel ein, der neue Freiheiten gewährt oder stillschweigend geduldete Freiheiten entzieht.

Individuelle Gefühle

Festzuhalten bleibt, dass die meisten Freiheiten individuelle Gefühle sind. Mancher fühlt sich beim Motorradfahren frei, andere beim Rauchen. Und es gibt Menschen, die auf der Suche nach Freiheit um die Welt reisen und sie nie finden.

Deshalb ist die Frage wichtig: Was nimmt den Menschen ihre Freiheit? Alles, was ihre Aufmerksamkeit fordert. Jedes Ding, jedes Lebewesen. Wer einen Schlüssel verlegt, muss ihn früher oder später suchen und dafür Zeit aufbringen, in der er nicht frei ist, anderes zu machen. Entscheidet sich jemand für Kinder, werden sie ihn den Rest seines Lebens beschäftigen. 

Liegt nicht gerade in der Entscheidung für etwas eine große Freiheit? Ja, die Freiheit liegt in der Entscheidung. Doch was daraus folgt, ist Unfreiheit. Jede Entscheidung engt das Leben ein wenig mehr ein. Wer sich zum Beispiel für eine Ausbildung oder ein Studium entscheidet, stellt die Weichen für den weiteren Lebensweg. Auch äußere Umstände wie große Kälte oder Hitze, Hunger oder Durst lassen die persönliche Freiheit gegen Null gehen. Die Arbeit für die notwendigen Lebensgrundlagen überwiegt. 

Freizeit ersetzt Freiheit

Vielleicht ist die einzig verlässlichen Aussage, die sich allgemein über Freiheit treffen lässt: Die potentielle individuelle Freiheit nimmt proportional zur Abnahme der Arbeit für die notwendigen Lebensgrundlagen zu. Potentiell ist die Freiheit, weil sie sich nicht unbedingt in vollem Umfang verwirklicht. Nicht jeder schöpft seine Freiheit vollumfänglich aus und nicht alle empfinden ihre Situation als eine von Freiheit geprägte. Möglicherweise bleibt in einer Gesellschaft nur als Freiheit übrig, was landläufig als Freizeit bezeichnet wird. Zeit, die für die sogenannten angenehmen Seiten des Lebens reserviert ist, dafür aber mit organisierten Vergnügungen, Familienbesuchen, Besorgungen, Ausflügen, Feiern und ähnlichem verplant wird. Wirklich freie Zeit ist selten geworden. Jeder beschäftigt sich mit den Dingen und Menschen, die ihn unmittelbar umgeben.

Enthaltsame Menschen vernichten den Konsumismus

Der größte Freund der Freiheit ist deshalb die Einfachheit. Wer wenig besitzt, muss kaum Lebenszeit darauf verwenden, Dinge zu verwalten und zu pflegen. Er könnte sich frei fühlen. Doch in der Gesellschaft wird er sich eher für gescheitert und ausgeschlossen halten. Woher kommt diese Diskrepanz?

Die Einfachheit ist zugleich der größte Feind des Konsumismus. Wenn die Masse der Menschen enthaltsam leben würde, könnte der Konsumismus nicht überleben. Er verlöre seine Berechtigung. Deshalb bedient er sich eines Tricks: Er hackt sich in die Gedanken der Menschen, sozusagen ihr Betriebssystem und manipuliert das Freiheits-Meme von innen heraus.

Rauchen wurde zum Inbegiff der emanzipierten Frau

Den Menschen wird suggeriert, die größte jemals zu erreichende Freiheit bestehe im Konsumieren. Dazu gibt es ein berühmtes Beispiel: Die Tabakindustrie erkannte in den 1920er Jahren, dass sie ihren Umsatz mit einem Schlag verdoppeln könnte, wenn auch Frauen rauchen würden. Nur galt Rauchen damals als unweiblich und unschicklich für Damen. Deshalb lancierten die Unternehmen eine PR-Kampagne. Die zielte darauf ab, Rauchen als Ausdruck von Emanzipation zu verkaufen. Sie versprach Frauen also Freiheit durch den Konsum von Zigaretten. Sehr erfolgreich, wie rückblickend zu erkennen ist. Aktuell rauchen durchschnittlich mehr Frauen als Männer. 

Die Menschen fallen auf die Versprechungen des Konsumismus herein, weil sie seit Anbeginn ihres Daseins konsumieren müssen. Nur treten heute die notwendigen Lebensgrundlagen zugunsten eines wahren Kaufrausches in den Hintergrund. Die Menschen konsumieren, um die Gefühle von Freiheit und Befriedigung zu erleben, die ihnen versprochen werden. Da diese Gefühle aber nur kurzzeitig wirken, müssen sie ständig erneuert werden. So feiert der Konsumismus seit Jahrzehnten einen globalen Triumphzug, indem er sich als die Freiheit ausgibt, nach der Menschen streben.