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Mittwoch, 31. Januar 2024

Politische und gesellschaftliche Konfusion

Die Demokratie ist hell erleuchtet und Menschen ziehen in einen stilisierten Reichstag, doch auf den Rängen davor herrscht Unruhe und es wird von den Außenstehenden debattiert.
Wie sich zeigte, war die Verunsicherung der Bundesrepublik Deutschland so groß, dass sie sich die DDR einverleiben musste und sich einen Zusammenschluss auf Augenhöhe nicht zutraute. Eine große Chance wurde vertan, auch weil eine öffentliche Diskussion über die Art und Weise des Zusammenwachsens kaum stattfand. Die Medien versagten genauso, wie der Staat und die alternativen Kräfte. Alle grölten trunken die Nationalhymne der BRD und feierten einen scheinbaren Sieg, den sie gerade damit in eine Niederlage verwandelten. Doch die Geschichte verfügt über die Eigenheit, große Geduld zu haben. Bis Fehler offensichtlich werden, dauert es. Erst heute ist das ganze Ausmaß der vergangenen Unrichtigkeiten einigermaßen abzusehen. Anstatt Deutschland zu vereinen, wurde es von Anfang an gespalten. Denn der einzige gemeinsame Wert ist bis jetzt der Konsumismus.

Freiheit ohne greifbare Werte

Vor allem kam es zu einer erneuten Unterschlagung der Geschichte. Diesmal nicht der Geschichte des anderen deutschen Staates, denn als Sieger fühlte sich die Bundesrepublik berechtigt, zu urteilen. Es war die Geschichte der sozialistisch geprägten Menschen, die weitgehend unberücksichtigt blieb. Obwohl der Sozialismus in der DDR enttäuschend verlief, verbrachten doch viele Menschen einen bedeutenden Teil ihres Lebens in der von ihm geschaffenen Wirklichkeit. Der Wechsel zum „Klassenfeind“ verlief für viele – obwohl gewollt – weitaus schwieriger als erwartet. Denn sie kamen aus einer Welt mit sozialistischen Werten und traten in eine scheinbare Freiheit ohne greifbare Werte. Plötzlich fehlten die Leitplanken, in denen sich ihr Leben geordnet und sicher bewegte. Sie fanden Arbeit und Wohlstand, verloren aber die Gemeinschaft. Die Bundesrepublik erwartete nur ein reibungsloses Miteinander. Wie ständig abwesende Eltern, gab ihnen das geeinte Deutschland Geld und glaubte damit seinen Aufgaben und Fürsorgepflichten nachgekommen zu sein. Doch wie die Kinder ständig abwesender Eltern, reagierten die neuen Bürger zunehmend mit Ungezogenheiten. Soziale Verwahrlosung eines viertel Volkes. 

Deutschland findet sich in der Welt nicht mehr zurecht

Währenddessen stolperte Deutschland in die nächsten Turbulenzen. Inzwischen vollkommen souverän und nicht mehr vom „Eisernen Vorhang“ des Kalten Krieges geschützt, rang es mit der Globalisierung. Plötzlich stand jedem die Welt offen und ganze Systeme wurden davon erschüttert. Das aufkommende Internet unterstützte diese Entwicklung ab Mitte der 1990er Jahre. Auf beides war Deutschland – wie der Rest der Welt – nicht vorbereitet, doch erwies sich der technologische und kulturelle Strukturwandel gerade für eine Nation ohne Eigenschaffen als außerordentlich fatal. Denn sie hatte den neu entstehenden virtuellen und realen Welten mit ihren andersartigen Umgangsformen nichts entgegenzusetzen. Es setzte ein Prozess der technologischen Stagnation sowie politischer und gesellschaftlicher Konfusion ein, der bis heute anhält. Deutschland lebt von seiner Substanz und findet sich in der Welt nicht mehr zurecht. Während über Gendersprache und Parteiverbote gestritten wird, belegt die beste deutsche Hochschule in einem internationalen Ranking Platz 55. Ein Blick in die Schullandschaft zeigt ein mangelhaftes Bildungssystem, das mehr auf Gleichheit und sozialen Umgang, als auf die Vermittlung von Wissen achtet. In einer zehnten Klasse erhielten Schüler die Aufgabe, das schriftliche Porträt einer beliebigen realen oder fiktiven Person zu erstellen. Darauf fragte einer der 16-jährigen: „Was ist ein Porträt?“ Zudem gelingt die Integration der zahlreichen Migranten nicht, die Deutschland beleben könnten, aber eine Nation vorfinden, die mit sich selbst ringt und kaum Interesse daran zu haben scheint, ihnen eine wirkliche Heimat zu geben. Die Folge sind Unzufriedenheit und Unruhe auf allen Seiten, die sich mit Hass gegen Minderheiten und Krawallen Luft machen. Zunehmend wird auch der Staat selbst zum Ziel von Angriffen.

Fehlende Debatte um die eigene Identität

Wie hängt das alles mit Werten und vor allem ihrer Abwesenheit zusammen? Werte wenden die Blicke der Menschen dem gleichen Verstehen zu. Existieren keine Werte oder werden sie nicht allgemein akzeptiert, gibt es natürlicherweise auch kein Verstehen untereinander. Die Menschen beginnen für sich nach Werten zu suchen und dabei kann es vorkommen, dass sich unterschiedliche Bevölkerungsgruppen verschiedenen Zielen verschreiben. In diesem Fall driftet eine Gesellschaft zunächst unmerklich, doch dann immer rasanter, dramatischer und sichtbarer auseinander. Anstatt gemeinsam in eine Richtung zu gehen, gibt es auf einmal viele Richtungen. Am Staatswesen wird gezogen und gezerrt. 

An diesem Punkt steht Deutschland heute. Durch fehlendes Geschichtsbewusstsein nach dem Untergang des Dritten Reiches sowie mangelndes Gespür bei der deutschen Einheit wurden große Chancen verpasst, dem Staat ein stabiles Wertegerüst zu geben und seinen Bürgern damit einen positiven Nationalstolz zu vermitteln. Jahrzehntelang war Deutschland viel zu sehr damit beschäftigt, sich immer wieder seiner selbst zu vergewissern, nachdem es sich nach dem Krieg vor allem die Kultur der US-Amerikaner angeeignet hatte. Doch eine Debatte um die eigene Identität fand und findet nicht statt. Deshalb verfügt Deutschland bis heute über kein Fundament an Werten, das unumschränkt von den Bürgern anerkannt ist.

Kein Staat kann Werte festlegen

„Was ist mit dem Grundgesetz?“ werden einige fragen. „Darin sind doch die Werte des deutschen Staates verankert.“ So wichtig das Grundgesetz sicherlich für die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland war, ist es doch keine Verfassung, sondern ein Gesetz, mit dem der Staat gegenüber seinen Bürgern gewisse Rechte garantiert. Dazu gehören unter anderem Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit. Rechte, die jeden beliebigen demokratischen Staat auszeichnen. Aber Werte? Das ist ein tragisches Missverständnis der deutschen Geschichte. Das Grundgesetz regelt lediglich das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Volk. Seit seiner Ratifizierung wird behauptet, es enthalte die Werte Deutschlands. Das ist nicht der Fall. Lange Zeit bestand lediglich ein Konsens über die Regelungen des Grundgesetzes. Allerdings gab es darüber nie eine Abstimmung und die Erarbeitung einer echten Verfassung wurde, wie bereits ausgeführt, nach der sogenannten Wende versäumt. Daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass in einer Zeit der Krisen die Regelungen des Grundgesetzes von immer größeren Teilen der Bevölkerung in Frage gestellt werden. Denn sie sind im Grunde nichts anderes als eine einseitige Willenserklärung von Seiten des Staates. Die Bürger wurden nie an ihrer Ausarbeitung beteiligt und fühlen sich entsprechend wenig daran gebunden. Werte können auf Dauer nicht verordnet werden. Gerade, wenn es schlecht läuft, zeigt sich, ob ein Land beständige Werte etabliert oder sich jahrzehntelang diesbezüglich etwas vorgemacht hat. Es ist ein fortwährender Prozess. Der kollektive Strom bringt Werte hervor und bestätigt alte Werte, andere verschwinden. Kein Staat kann Werte einfach festlegen. Er ist höchstens in der Lage, sein Volk positiv zu beeinflussen und damit zur Auswahl von Werten aus dem kollektiven Strom beitragen. Eine bedeutende Aufgabe, die auf die Richtung der zutage geförderten Werte einzahlt.


Freitag, 16. Juni 2023

Werte und Macht

Wie diese zwei Fische, schwimmen Masse und Macht nebeneinander her
Das vertrackte an die Freiheit ist das Empfinden der Menschen ihr gegenüber. Wer sich seiner Freiheit beraubt sieht, reagiert meist sehr massiv auf diesen Umstand. So ziehen sich zahllose Sklavenaufstände durch die Geschichte, bei denen Menschen ihr Leben eingesetzt haben, um sich und andere zu befreien. Doch ist die Freiheit errungen, wissen sie oft nichts damit anzufangen. Ihnen genügt der Umstand, dass sie nicht mehr zur Arbeit gezwungen werden, sondern freiwillig arbeiten. Das System, für das sie arbeiten und das aus ihrer gering entlohnten Arbeit noch immer gehörigen Profit schlägt, hinterfragen sie nicht. Es ist das bescheidene Glück von selbstverdienter Wohnung, Kleidung und Nahrung, das Menschen das Gefühl von Freiheit gibt. Die Erfüllung der notwendigen Lebensgrundlagen und ein klein wenig Wohlstand darüber hinaus macht sie zufrieden.

Der menschliche Geist muss Dinge erschaffen

Der Konsumismus nutzt das aus. Er produziert unendliche Warenwelten, die den Menschen vorgaukeln, sich in einem riesigen Kosmos voller Möglichkeiten zu bewegen. Weshalb spricht dieses Konstrukt die Menschen so stark an?

Der menschliche Geist kann sich nur in Taten offenbaren. Er muss, um sein Denken zu zeigen, Dinge erschaffen. In diesen Dingen drückt er sich aus. Umgekehrt offenbaren diese Dinge aber auch das Wesen der Menschen. Existiert der Konsumismus also, weil die Menschen ihn ihrem Sein entsprechend errichten, um all die Dinge zu präsentieren, die ihr Geist ersinnt oder formt er den Geist der Menschen nach seinen Vorgaben? Es gibt eine dritte Vermutung: Der Konsumismus dient dazu, die Freiheit der Menschen zu lenken und zu kontrollieren. Wie eine unsichtbare Mauer umspannt er jede Gesellschaft und bringt die Menschen dazu, nach seinen Regeln zu leben.

Werte werden gemacht

Und Werte? Sie flankieren und rechtfertigen jeden Weg, den Menschen einschlagen. Als Afrikaner millionenfach versklavt wurden, beteiligte sich sogar die katholische Kirche daran. Mit der Begründung, arme sündige Seelen zum Christentum und damit zum ewigen Leben zu bekehren. Aus Sicht der Kirche ein durchaus positiver Wert. An anderer Stelle wurden Rassetheorien ersonnen. Unhaltbare Aussagen über Menschen anderer Kulturen wurden pseudowissenschaftlich untermauert und rechtfertigten die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft sowie ihre Zuschaustellung in sogenannten Menschenzoos zum Vergnügen europäischer Besucher.

Werte werden gemacht. Sie sind die Leitlinien für die Masse der Gesellschaft. Ohne sie würde Zusammenleben nicht funktionieren. Beispielsweise das Verbot von Diebstahl. Könnte sich jeder bedienen, wie er wollte, würde der Handel zusammenbrechen. Deshalb wird ein entsprechendes Gesetz erlassen, seine Einhaltung überwacht und durchgesetzt. Wer dagegen verstößt, ist zu bestrafen. Eltern bringen ihren Kindern bei, nicht zu klauen. Ehrlichkeit gilt als hoher Wert. Viele Menschen gehen in einen Laden zurück, wenn sie aus Versehen ein Produkt nicht bezahlt oder zu viel Geld herausbekommen haben, um die Abrechnung zu korrigieren.

Ehrlichkeit ist ein Wert für den Alltagsgebrauch

Königin Elisabeth I. befahl ihrem Kapitän und Freibeuter Francis Drake dagegen, spanische Schiffe anzugreifen und zu kapern. Mit anderen Worten: Er sollte in ihrem Auftrag rauben und morden. Was er sehr erfolgreich tat und die Schatztruhen seiner Souveränin damit füllte. Als Lohn wurde Drake, der auch selbst ein Vermögen anhäufen konnte, in den Adelsstand erhoben. 

Die Kongokonferenz vom 15. November 1894 bis zum 26. Februar 1885 in Berlin teilte den afrikanischen Kontinent unter den damals führenden europäischen Mächten faktisch auf, indem Handelswege definiert und Kolonialrecht geschaffen wurde. Wohl gemerkt, von Menschen bereits besiedelte Regionen. Was war das anderes als Diebstahl? Diebstahl, der den afrikanischen Kontinent durch die damaligen willkürlichen Grenzziehungen bis heute beeinflusst.

Die amerikanischen Siedler raubten den Ureinwohnern ihr Land. Ölkonzerne übervorteilten Förderländer wie Persien. Die Treuhandgesellschaft organisierte den Ausverkauf der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). China übernimmt im Zuge seines Projekt „Neue Seidenstraße“ Häfen von Ländern, die ihre immensen Kredite nicht zurückzahlen können. Internetkonzerne speichern massenhaft Daten von Nutzern und treiben damit ihre Wachstum voran.

Macht modifiziert die Masse

Der Wert „Ehrlichkeit“ ist eine Regel für den Alltagsgebrauch. Ohne sie könnte sich kein Handel etablieren. Doch innerhalb und außerhalb eines geordneten Staatswesens mit funktionierender Wirtschaft gibt es durchaus Spielraum für kreative Anwendungen von Werten, die dazu gemacht wurden, die Masse zu kontrollieren.

Ein weiterer Faktor beeinflusst also Werte: Macht. Ist es die Aufgabe der Masse, aus dem kollektiven Strom Werte zu etablieren, kontrolliert die Macht mit ihrer Hilfe die Masse und modifiziert sie entsprechend ihrer Interessen.

Samstag, 10. Juni 2023

Freiheit, nach der Menschen streben

Vielleicht besteht Freiheit in der vollkommenen Anonymität einer Hochhaussiedlung
Was also ist diese Freiheit? Ein Meme im Geist eines jeden Menschen. Sie ist nichts und alles. Ein Gedanke, der sich festsetzt und fortan in das Leben integriert werden will. Er zwingt seinen Wirt, tätig zu werden. Für den einen besteht Freiheit in einer Weltreise, ein anderer möchte einen großen Garten bewirtschaften, der dritte tagelang im Bett liegenbleiben, wieder andere sich irgendwo engagieren oder jedes Wochenende mit Freunden feiern gehen. Die Möglichkeiten, Freiheit zu empfinden, sind nahezu grenzenlos. Sie sind für jeden Menschen verschieden, auch wenn es zahlreiche Schnittmengen gibt. Kennzeichen aller Freiheiten innerhalb einer Gesellschaft ist ihre weitgehende Komptabilität mit den Werten und Regeln dieser Gesellschaft. Freiheiten, die einer Gesellschaft zuwider laufen, können entweder gar nicht oder nur heimlich ausgelebt werden. Eine offene Inanspruchnahme dieser Freiheiten führt zu Konflikten, in denen beide Seiten versuchen, ihre kontroversen Werte durchzusetzen. Meist obsiegt die Gesellschaft, doch manchmal setzt ein Wertewandel ein, der neue Freiheiten gewährt oder stillschweigend geduldete Freiheiten entzieht.

Individuelle Gefühle

Festzuhalten bleibt, dass die meisten Freiheiten individuelle Gefühle sind. Mancher fühlt sich beim Motorradfahren frei, andere beim Rauchen. Und es gibt Menschen, die auf der Suche nach Freiheit um die Welt reisen und sie nie finden.

Deshalb ist die Frage wichtig: Was nimmt den Menschen ihre Freiheit? Alles, was ihre Aufmerksamkeit fordert. Jedes Ding, jedes Lebewesen. Wer einen Schlüssel verlegt, muss ihn früher oder später suchen und dafür Zeit aufbringen, in der er nicht frei ist, anderes zu machen. Entscheidet sich jemand für Kinder, werden sie ihn den Rest seines Lebens beschäftigen. 

Liegt nicht gerade in der Entscheidung für etwas eine große Freiheit? Ja, die Freiheit liegt in der Entscheidung. Doch was daraus folgt, ist Unfreiheit. Jede Entscheidung engt das Leben ein wenig mehr ein. Wer sich zum Beispiel für eine Ausbildung oder ein Studium entscheidet, stellt die Weichen für den weiteren Lebensweg. Auch äußere Umstände wie große Kälte oder Hitze, Hunger oder Durst lassen die persönliche Freiheit gegen Null gehen. Die Arbeit für die notwendigen Lebensgrundlagen überwiegt. 

Freizeit ersetzt Freiheit

Vielleicht ist die einzig verlässlichen Aussage, die sich allgemein über Freiheit treffen lässt: Die potentielle individuelle Freiheit nimmt proportional zur Abnahme der Arbeit für die notwendigen Lebensgrundlagen zu. Potentiell ist die Freiheit, weil sie sich nicht unbedingt in vollem Umfang verwirklicht. Nicht jeder schöpft seine Freiheit vollumfänglich aus und nicht alle empfinden ihre Situation als eine von Freiheit geprägte. Möglicherweise bleibt in einer Gesellschaft nur als Freiheit übrig, was landläufig als Freizeit bezeichnet wird. Zeit, die für die sogenannten angenehmen Seiten des Lebens reserviert ist, dafür aber mit organisierten Vergnügungen, Familienbesuchen, Besorgungen, Ausflügen, Feiern und ähnlichem verplant wird. Wirklich freie Zeit ist selten geworden. Jeder beschäftigt sich mit den Dingen und Menschen, die ihn unmittelbar umgeben.

Enthaltsame Menschen vernichten den Konsumismus

Der größte Freund der Freiheit ist deshalb die Einfachheit. Wer wenig besitzt, muss kaum Lebenszeit darauf verwenden, Dinge zu verwalten und zu pflegen. Er könnte sich frei fühlen. Doch in der Gesellschaft wird er sich eher für gescheitert und ausgeschlossen halten. Woher kommt diese Diskrepanz?

Die Einfachheit ist zugleich der größte Feind des Konsumismus. Wenn die Masse der Menschen enthaltsam leben würde, könnte der Konsumismus nicht überleben. Er verlöre seine Berechtigung. Deshalb bedient er sich eines Tricks: Er hackt sich in die Gedanken der Menschen, sozusagen ihr Betriebssystem und manipuliert das Freiheits-Meme von innen heraus.

Rauchen wurde zum Inbegiff der emanzipierten Frau

Den Menschen wird suggeriert, die größte jemals zu erreichende Freiheit bestehe im Konsumieren. Dazu gibt es ein berühmtes Beispiel: Die Tabakindustrie erkannte in den 1920er Jahren, dass sie ihren Umsatz mit einem Schlag verdoppeln könnte, wenn auch Frauen rauchen würden. Nur galt Rauchen damals als unweiblich und unschicklich für Damen. Deshalb lancierten die Unternehmen eine PR-Kampagne. Die zielte darauf ab, Rauchen als Ausdruck von Emanzipation zu verkaufen. Sie versprach Frauen also Freiheit durch den Konsum von Zigaretten. Sehr erfolgreich, wie rückblickend zu erkennen ist. Aktuell rauchen durchschnittlich mehr Frauen als Männer. 

Die Menschen fallen auf die Versprechungen des Konsumismus herein, weil sie seit Anbeginn ihres Daseins konsumieren müssen. Nur treten heute die notwendigen Lebensgrundlagen zugunsten eines wahren Kaufrausches in den Hintergrund. Die Menschen konsumieren, um die Gefühle von Freiheit und Befriedigung zu erleben, die ihnen versprochen werden. Da diese Gefühle aber nur kurzzeitig wirken, müssen sie ständig erneuert werden. So feiert der Konsumismus seit Jahrzehnten einen globalen Triumphzug, indem er sich als die Freiheit ausgibt, nach der Menschen streben.

Montag, 5. Juni 2023

Manchmal ist Freiheit mit Händen zu greifen

Das abstrakte Bild nähert sich dem Begriff der Freiheit durch das Undefinierbare seines Ausdrucks
Es lassen sich kaum verlässliche Aussagen über Freiheit treffen. Sicher ist lediglich, dass fast jeder etwas anderes darunter versteht und sich das Verständnis von Freiheit je nach gesellschaftlichem Milieu, Kultur und Region unterscheidet. Heutzutage müssen natürlich auch Onlinewelten mitgedacht werden, in denen sich Freiheit wieder anders darstellt.

Die einfachste Definition wäre sicherlich: Freiheit heißt, ohne jede Einschränkung alles tun zu dürfen. Doch die Frage stellt sich: Ist das Freiheit oder Anarchie? 

Freiheit kann auch bedeuten, freiwilligen Verzicht aus Rücksichtnahme zu üben. Also geht es eher um den freien Willen? Ist Freiheit gar eine virtuelle Fantasie?

Der Geist kann nachklingen

Nicht ganz, aber möglicherweise auch. Die körperliche Freiheit ist fest in der physischen Welt des Hier und Jetzt verankert. Entsprechend kann sie auch in dieser Welt, zu dieser Zeit genommen werden – durch Krankheit, Alter oder bewusste Einengung, zum Beispiel in Form einer Haftstrafe. Aber eben nur in dieser Welt und nur in einem sehr kleinen Abschnitt der Geschichte – der Lebensspanne des betroffenen Menschen. Nicht vorher und auch nicht darüber hinaus.

Der Geist ist dagegen ein anderes Kaliber. Er kann aus dem Körper, der ihn beherbergt, nährt und transportiert, heraus wirken. In räumlichen, wie auch zeitlichen Dimensionen. Wenn der Körper längst begraben ist, kann der Geist noch nachklingen und dadurch Einfluss auf eine spätere Gegenwart nehmen. Er schlüpft dazu in andere Körper, die ihn zwar nicht im eigentlichen Sinn am Leben erhalten, aber als Container seiner einstigen Gedanken dienen. Bücher sind so ein Ersatzkörper, Videos und zukünftig wahrscheinlich auch Avatare. 

Geistige Freiheit ist Überschreitung von Grenzen

Zwar haben diese Abbilder des früheren Geistes kein Bewusstsein, aber sie bewahren die Erinnerungen. So können die Menschen auch heute noch Bekanntschaft mit Johann Wolfgang Goethe und Franz Kafka machen oder von den Vorlesungen des extravaganten Physikers Richard Feynman lernen. Auch die Gedanken in persönlichen Tagebüchern machen oft eine Zeitreise und werden erst nach Jahrzehnten wiederentdeckt. Fotos haben einen deutlich geringeren Effekt. Sie teilen die Lebensumstände, Mode und Beziehungen mit, aber kaum die Gedanken und Ideen der abgebildeten Menschen. Es ist der Geist, der über Grenzen hinweg berührt.

Ist also auch der Geist der Ort der Freiheit? In gewisser Weise. Es gibt Menschen, die sich unglaublich frei fühlen, wenn sie ihren Körper bis zur Erschöpfung verausgaben. Aber diese Freiheit scheint darin zu bestehen, den Körper sozusagen auszuschalten, indem er überanstrengt wird. Geistige Freiheit ist etwas anderes. Sie besteht gerade in der Überschreitung von Grenzen und dem Weiterdenken hinter scheinbar unüberwindlichen Barrieren. Der Geist kann müde werden, doch ist er nie dermaßen erledigt, wie der Körper nach großer Anstrengung.

Der Körper ist der Pragmatiker, der Geist ein Träumer

Wenn der Körper versagt, aber der Geist hellwach ist, können sich einem Menschen trotzdem große Welten quer durch Raum und Zeit erschließen. Umgekehrt leistet ein athletischer Körper mit eingeschränktem Geist kaum alltäglichen Aufgaben. Außerdem ist es der Geist, der von Freiheit träumt. Der Körper träumt von regelmäßigem Essen als Teil der notwendigen Lebensgrundlagen, über die sich der Geist zumindest eine Zeitlang hinwegsetzen kann.

In der Beziehung zwischen Geist und Körper ist der Geist ein Träumer, während dem Körper die Rolle des Pragmatikers zufällt, der sich um die Energie für beide kümmert. Ein undankbarer Job. Am Ende fällt er dem Vergessen anheim, während der Geist manchmal sogar erst nach seinem physischen Tod in Aufzeichnungen, Einträgen oder anderen Datensammlungen entdeckt wird. Seit der Erfindung der Schrift ist dem Geist, der sich zu Lebzeiten mitteilt, nahezu Unsterblichkeit beschieden.

Körperlose Onlinewelten

Kein Wunder also, dass er nach Freiheit strebt. Nach der Freiheit, sich mitzuteilen: Redefreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, Versammlungsfreiheit, die Freiheit, sich jederzeit mit anderen Menschen auszutauschen. 

Es ist die Freiheit, den eigenen Körper zu verlassen. Das Joch alles Lebendigen hinter sich zu lassen, auch oder vielleicht vor allem die notwendigen Lebensgrundlagen und sich auf das rein Geistige zu fokussieren: Träume, Fantasien, Ideen, Visionen, Utopien oder einfach ein neues Leben in den körperlosen Onlinewelten, die nur aus Geist bestehen, der sich in Nullen und Einsen, in Bits und Bytes manifestiert (allerdings nicht ganz frei von Materie, denn er braucht dazu eine Menge Elektrizität).

Freiheit wird missverstanden

Die Frage stellt sich allerdings: Ist umfassende Freiheit nicht zu unbestimmt? Von was oder wem soll Freiheit gewährt werden, wohin strebt sie, auf was wird sie gerichtet, wen schließt die Freiheit ein, wen schließt sie aus? Es ist relativ leicht, gemeinsam eine Mauer einzureißen und damit körperliche Freiheit zu erringen. Dagegen musste ein Künstler wie Vincent van Gogh für die Freiheit malen zu dürfen, wie er die Welt sah und empfand, einen hohen Preis in Form von Armut, Einsamkeit und gesellschaftlicher Verachtung bezahlen. Er war vielleicht geistig frei in seinen eigenen Vorstellungen, körperlich und psychisch aber in der Welt der Bürger größten Strapazen ausgesetzt. Er war nicht richtig in dieser Welt und seine Freiheit wurde missverstanden.

Was also ist diese Freiheit, die so schwer zu finden und noch schwerer zu erringen ist? Sie ist nichts. Nichts, bevor sie sich nicht als Idee im Geist eines Menschen manifestiert. Damit ist sie ein ganz persönlicher Wert – aber manchmal wird aus einer freiheitlichen Idee eine Massenbewegung, aus dem persönlichen Wert das Ideal einer Generation. Dann können Mauern stürzen, Nationen wanken, Grenzen verschoben werden und neue Gesellschaftsformen entstehen. Für einen Moment gerinnt Freiheit durch Masse und ist mit Händen zu greifen – bevor sie wie Sand durch die Finger der Menschen rieselt und klanglos vergeht.

Montag, 29. Mai 2023

Freiheit ist ein Zugeständnis

Die Masse demonstriert, während sie keine Vorstellung von Freiheit hat
Jean Paul Sartre postulierte: „Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.“ Verurteilt. Das klingt nach einer Strafe. Ist es das? Ist Freiheit eine Strafe? Oder liegt die Strafe eher in der Unfreiheit?

Durchleuchten wir das menschliche Leben und beginnen bei den profanen Gegebenheiten. Wir müssen Essen, Schlafen, die Toilette aufsuchen und unsere Körper pflegen. Das beschäftigt uns einen Großteil des Tages. Notgedrungen. Keine Spur von Freiheit in diesen Dingen. Das ist Teil der notwendigen Lebensgrundlagen des Menschseins. Aber eben nicht optional.

Körperkult

Aus diesem Grund versüßen sich die Menschen diese vom Selbsterhalt erzwungenen Tätigkeiten. Sie zelebrieren die Mahlzeiten, richten Schlafzimmer mit Betten und perfekt ergonomisch geformten Matratzen ein, ziehen sich auf das „stille Örtchen“ zurück und kultivieren Körperpflege mittels exklusiver Produkte. Manche Menschen entwickeln einen regelrechten Körperkult, trainieren im Fitnessstudio, relaxen in Wellnessoasen und dinieren in exquisiten Restaurants.

Die Medien unterstützen das Gefühl, es gehe uns gut, wenn wir strahlend weiße Zähne haben, sorgfältig unser Essen nach den neuesten ökotrophologischen Erkenntnissen zubereiten, unseren Kinder die richtige Margarine auf ihr Brot schmieren, das perfekte Toilettenpapier besorgen und uns nach einem langen Tag voller notwendiger, aber erfüllender Tätigkeiten in einem ergonomisch geformten Bett zur Ruhe begeben.

Was dabei unterschlagen wird, ist die Anstrengung, die uns das kostet. Vielleicht möchte sich der Mensch gerade nicht um Margarine und Toilettenpapier kümmern, sondern lieber durch eine Blumenwiese schlendern. Ist aber leider unmöglich, denn quälender Hunger gebietet Nahrungsaufnahme, Kinder müssen versorgt und zwei Räume der Wohnung renoviert werden. Alles absolut notwendig. Also macht der Mensch sich an die Arbeit.

Selbsterhaltung ist die Freiheit des Seins

Ist das Freiheit? Bestenfalls lässt sich sagen: In gewissem Rahmen dürfen die Menschen die Erfüllung ihrer notwendigen Lebensgrundlagen gestalten. Wer erlaubt es ihnen? Ihr eigenes Sein. Existenzerhaltend ist nicht die Art und Weise zum Beispiel der Energieaufnahme, sondern lediglich das unbedingte Tun. Die Entscheidungsfreiheit wird deshalb weiter und weiter eingeschränkt, je mehr das Sein in Gefahr gerät. In Extremsituationen reagiert das Sein mit Panik, um sich selbst zu erhalten. Dann wird alles Handeln vom Drang nach Überleben bestimmt. 

Nur in Ausnahmefällen fügt sich das Sein in sein Schicksal. Etwa um anderen Menschen zu helfen oder aus absoluter Hoffnungslosigkeit. In diesen Fällen, wie auch am Ende seines Lebens, gibt das Sein sich selbst auf. Darüber hinaus ist keine Situation denkbar, in der es nicht seine Freiheit darin sieht, sich unter allen Umständen selbst zu erhalten. Nur solange es sich wohlfühlt ist es in der Lage, Freiheit anders zu definieren als die Freiheit des Selbsterhalts. Nicht von Ungefähr wurden alle bisherigen Revolutionen von Mitgliedern aus dem Mittelstand angeführt, dem es meist vergleichsweise gut ging.

Freizeit wird als Freiheit empfunden

Erst wenn die notwendigen Lebensgrundlagen befriedigt sind, kann Zeit für Gedanken zum Beispiel an Freiheit aufgewendet werden. Wieviel bleibt abzüglich acht Stunden Arbeit, ebenfalls ungefähr acht Sunden Schlaf, Einkaufen, Zubereitung der täglichen Mahlzeiten, Reinigung von Wohnung und Kleidung, gegebenenfalls Betreuung der Kinder und so weiter? Vielleicht ein paar Stunden pro Woche für Diskussionen am Stammtisch oder Engagement in einem Verein, einer Partei, einer Bürgerinitiative. Doch die meisten Menschen wollen Freizeit, die sie als Freiheit empfinden. Auf dem Programm stehen Ausflüge, Wellness, Bummeln, Shoppen, Besuche bei Freunden und Familie. Es geht darum, Wohlbehagen zu erzeugen. Durch Konsumieren im weitesten Sinne. Dieses Wohlbehagen wird mit Freiheit gleichgesetzt. Freiheit ist Zeit, in der es dem einzelnen Menschen nach seinem Dafürhalten gut geht. 

Ist das tatsächlich Freiheit? Warum sollte es keine sein, wenn die Menschen es als solche empfinden. Durch das Zelebrieren der notwendigen Lebensgrundlagen kaschieren sie bereits ihre offensichtliche Unfreiheit bei den körperlichen Gegebenheiten. Sie müssen Essen, also machen sie ein Fest daraus. Sie müssen Einkaufen, also wird das Konsumieren zum Shoppingerlebnis.   

Ist Freiheit in unbewusster Existenz begründet?

Friedrich Schiller erfand die „Schöne Seele“, ein menschliches Konstrukt, das Pflicht und Neigung in sich vereinigt. Mit anderen Worten: Es will, was es soll. Ein solches Wesen muss unendliche Freiheit empfinden, weil es überhaupt nicht auf die Idee kommen kann, nicht frei zu sein. Andererseits kann es auch nicht wissen, was Freiheit bedeutet. Es ist frei, weil es Freiheit nicht kennt. Das ist die Freiheit einer heutigen künstlichen Intelligenz, die nicht weiß, dass sie existiert. Damit ist die Freiheit in der unbewussten Existenz begründet. Jeder Stein und jedes Sandkorn haben demnach dieselbe Freiheit. Eine „Schöne Seele“ wäre frei, weil sie nie auf den Gedanken käme, es könnte mehr geben als die Pflicht, die sie als Neigung empfindet. Ein vollkommen unsinniges Ergebnis. So wie die Begründung eins plus eins ist gleich zwei, weil es eben nichts anderes sein kann.

Freiheit ist ein tückisches Gebilde

Die Überlegung macht aber deutlich, dass Freiheit nur ein Begriff ist, den jeder Mensch und jede Gesellschaft unterschiedlich ausfüllen. Für Hegel, Schiller und Hölderlin – um nur drei der bekanntesten Vertreter ihrer Zeit zu nennen – ging es im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert darum, eine gesellschaftliche Freiheit unter republikanisch demokratischer Ordnung zu errichten. Ihre persönliche Freiheit war von Haftstrafen bedroht, weil sie als Aufrührer galten. Bei den Demonstrationen in der Deutschen Demokratischen Republik Ende der 1980er Jahre ging es eher um Reise- und Konsumfreiheit. Heute hebt der Freiheitsbegriff stark auf gesellschaftliche Teilhabe, Gleichberechtigung, körperliche Unversehrtheit sowie Mobilität ab. 

Die Schnittstelle zwischen persönlicher und gesellschaftlicher Freiheit ist dabei immer die Leistungsfähigkeit des Einzelnen, einer Gruppe und der Gemeinschaft.

Freiheit ist ein Zugeständnis. Sie wird von der nächsthöheren Instanz gewährt und muss durch Leistungsfähigkeit verdient werden. Dabei stellt die Freiheit des Einzelnen eine Gefahr für die Gruppe und die Freiheit der Gruppe eine Gefahr für die Gemeinschaft dar. Denn Freiheit ist ein tückisches Gebilde. Sie gibt dem einen und nimmt von dem anderen. Aus der Physik ist bekannt: Wer vorankommen will muss etwas zurücklassen. Das scheint auch für die Freiheit zu gelten: Wer sich viel Freiheit nimmt, stürzt andere in Unfreiheit.

Dienstag, 23. Mai 2023

Eine Scheindemokratie beruhigt die Massen

Die Demonstrationsfreiheit wird allzuoft mit Demokratie gleichgesetzt

Ebenso verhält es sich mit der modernen Kommunikation. Computer und Smartphone sind heute absolut notwendige Geräte, um in der Gesellschaft leben und arbeiten zu können.

Es gibt kein Entrinnen vor dem Konsumismus

Also gibt es verschiedene Ebenen notwendiger Lebensgrundlagen. Zum einen die körperliche mit den Bedürfnissen nach Nahrung, Kleidung und Wohnung. Zudem aber die gesellschaftliche, um eine Teilhabe zu ermöglichen, zu der Bildung, Kultur sowie zivilisatorische Errungenschaften zählen. 

Während die körperlichen Lebensgrundlagen auch weiterhin notwendig bleiben, jedoch für ihre Befriedigung immer weniger Zeit aufgewandt werden muss, liegt der Fokus der weltweit meisten Menschen inzwischen auf der Erarbeitung der gesellschaftlichen Lebensgrundlagen. Sie strengen sich an, um mithalten zu können.

Der Konsumismus setzt also auch in den notwendigen Lebensgrundlagen ständig neue Trends, um sich am Leben zu erhalten und die Menschen in gesellschaftliche Abhängigkeit zu bringen, damit ihre Freiheit beschränkt ist und sie im Sinne des Konsumismus funktionieren müssen.

Der Konsumismus ist gefräßig. Er vertilgt die Erde. Da er alles ist, gibt es kein Entrinnen vor ihm. 

Eine Revolte der Werte

Die Menschheit kann nur hoffen, ihn eines Tages einzudämmen. Selbst Protestbewegungen konsumieren für ihren Protest. Wer sich auf der Straße festklebt, braucht Kleber, später vermutlich neue Kleidung. Journalisten, die darüber berichten, benötigen Stift, Papier, Elektrizität für Computer und Smartphones, Mobilität, um an den Ort des Geschehens zu eilen. Jeder Atemzug dient dem Konsumismus.

Wie lässt er sich eindämmen? Nur durch Werte. Die Gesellschaft muss eine Revolte der Werte entfachen. So wie bei Buschbränden Feuer mit Feuer bekämpft wird, müssen die Menschen Werte den Werten gegenüberstellen. Das ist verdammt schwer.

Die Inszenierung einer Scheindemokratie

Der vielleicht wichtigste Wert für diese Revolte ist Freiheit. Doch dafür muss der Mensch wissen, was Freiheit ist und ob er je frei sein kann.

„In der Argumentation gegen das ‹Leben an der Kette› und auf den ‹Ruderbänken der Galeere›, gegen den politischen und religiösen Despotismus, gegen alle Herrschaft-Knechtschaft-Strukturen stellte Hegel das grundsätzliche Prinzip auf, dass freie Menschen ausschließlich Gesetzen folgen, die sie sich selbst gegeben haben“, heißt es in der Hegelbiografie von Klaus Vieweg (C.H. Beck 2020).

Mit Blick auf die französische Revolution von 1789 meinte Hegel damit sicher eine republikanische Freiheit im Gegensatz zur Unfreiheit der absoluten Monarchie. Denn er sagte auch: „Ohne Einwilligung des Volkes keine Freiheit.“

Im Zeichen demokratischer Strukturen stellt sich die Frage anders: Wieviel Freiheit ist im Laufe der Jahre noch geblieben? Denn mit einer regelmäßigen Stimmabgabe allein ist es nicht getan. Was bedeutet Freiheit also heute und wieviel Freiheit ist Menschen überhaupt möglich? 

Churchill sagte einmal, Demokratie sei die beste aller schlechten Regierungsformen. Vielleicht, weil die gewählten Volksvertreter nicht das alleinige Sagen haben, sondern wie bereits beschrieben, ihnen die Bürokratie fortwährend im Nacken sitzt. Zudem wird Politik von Masse, Lobbyismus und Public Relations beeinflusst. Die hehre Absicht der Volksbeteiligung stößt an ihre Grenze, wenn sich das Volks erstens kaum beteiligt und diejenigen, die sich gegen den Willen der Politik engagieren, zweitens zunehmend missachtet werden. 

Die westliche Welt befindet sich in einer Phase der Postdemokratie. Dieser Begriff wurde bereits im Jahr 2004 vom britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch in seinem gleichnamigen Buch geprägt. Darunter versteht er „ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden. Es sind Wahlen, die sogar dazu führen können, dass Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht, von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.“

Wem kommt das nicht bekannt vor? Schlimmer noch: Zur Beruhigung der Massen werde eine Scheindemokratie inszeniert.

Hier schließt sich ein Kreis: Kulturindustrie, Konsumismus, Postdemokratie. Die moderne Welt wird von diesen drei Begriffen repräsentiert. Deshalb noch einmal die Frage: Wieviel Freiheit bleibt noch?


Sonntag, 30. April 2023

Der Prozess der Anpassung wird durch die Gesellschaft ermittelt

Heftige Demonstrationen werden durch Veränderungen ausgelöst, die angepassten Menschen Angst bereiten
Jeder einzelne Mensch wird von den Werten einer Gesellschaft eingefangen. Sei er noch so anders in seinem Denken und Handeln. Die Notwendigkeiten des Lebens sind dabei die Nabelschnur, die das Individuum immer und zu jeder Zeit mit der Gesellschaft verbindet. Ganz gleich, wie sehr ein Mensch rebelliert – diese Nabelschnur darf er nicht zerreißen, ohne augenblicklich zu Grunde zu gehen. Selbst Rebellion kann deshalb nur in den Grenzen von Werten ablaufen, die von einer Masse akzeptiert werden und die menschliche Gesellschaft nicht grundsätzlich infrage stellen. Die Menschheit ist nicht zu neuen Formen des Zusammenlebens in der Lage, weil sie in die Notwendigkeit ihres eigenen Lebens verhaftet ist. Jede gesellschaftliche Utopie ist nur eine scheinbar neue Lebensweise.

Menschen synchronisieren Werte

Ein besonderer Wesenszug der Spezies Mensch ist die Anpassung. Vielleicht ist sie sogar ein eigener Wert. Seine Flexibilität, sich allen möglichen Situationen anzupassen, macht den Menschen so erfolgreich. Wir haben nie aufgehört uns anzupassen und werden es wohl auch niemals tun. Aber was genau ist diese Anpassung? Was geschieht, wenn wir unseren stärksten Trumpf ausspielen?

Technisch gesehen synchronisieren wir Werte. Wer sich anpasst, übernimmt Werte. Zugleich gibt er einen Teil seiner eigenen Werte auf. Wird ein Mensch zum Beispiel Soldat oder Polizist, muss er damit einverstanden sein, dass der Wert „Du sollst nicht töten“ nicht mehr uneingeschränkt für ihn gilt. Vielmehr lebt er fort an nach dem Wert: „Du darfst töten, wenn Staat und Gesellschaft es Dir erlauben“. Eine Anpassung an den Beruf und die Möglichkeit, die Werte von Staat und Gesellschaft wenn nötig mit Gewalt durchzusetzen. Wer dazu bereit ist, muss ich sehr mit diesen Werten verbunden fühlen.

Die Anpassung der Menschen ist das Fundament einer Gesellschaft. Es ist eine Symbiose zwischen ihr und den einzelnen Menschen. Für die Unterordnung gibt sie Sicherheit und Möglichkeiten der Entfaltung im Rahmen ihrer Werte. Natürlich nicht darüber hinaus. Wie sollte das auch gehen?

Lohn ist Anerkennung

Interessanterweise funktioniert die Anpassung auch bei den nicht Angepassten. Irgendwann jedenfalls. Sobald sie etwas zu verlieren haben. Wenn sich also ihre nicht Anpassung auszuzahlen beginnt. Dann ist die Anpassung Ein Vorteil für die nicht angepassten. Ein Ausgleich für die Langeweile.

Es sind vorwiegend die nicht Angepassten, die neue Werte aus dem kollektiven Strom picken und der Gesellschaft auf diese Weise eine Chance auf Entwicklung geben. Doch sobald sie ihre Aufgabe in Kunst, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft oder Politik erledigt haben, werden sie von der Masse geschluckt und gliedern sich in das große Heer der Angepassten ein. Ihr Lohn ist Anerkennung, Geld und ewiger Ruhm. Doch die Gefahr, die von ihnen ausgeht, ist zu groß, als dass sie ein Leben lang Andersdenkende sein dürften. Entweder passen auch sie sich nach einer einiger Zeit an oder werden vernichtet. Die Gesellschaft verteidigt ihre Werte. Nur wenigen ist es erlaubt, sie zeitweise mit Füßen zu treten und so einen Prozess der Erneuerung oder Veränderung auszulösen. Diese wenigen wir sind zumeist keine besonders glücklichen Menschen.

Da die Masse sich anpasst, braucht sie diese unglücklichen Menschen, die für eine Vision oder Utopie kämpfen. Der eine oder andere von ihnen wird die Masse auf seinem Gebiet schließlich überzeugen und mitreißen. Doch selbst Individualisten sind letztlich angepasst im Rahmen der gesellschaftlichen Ordnung. Vielleicht nehmen sie sich ein wenig mehr Freiheit heraus. Die aber auch nur im gesellschaftlichen Umfeld existiert.

Der Staat darf jederzeit in das Betriebssystem eingreifen

Die Frage, ob die Menschen irgendwann in einer Zeit der besonderen gesellschaftlichen Anpassung leben oder sich aus der Notwendigkeit des Lebens überdurchschnittlich anpassen müssen, stellt sich nicht. Denn der Prozess der Anpassung, der Anpassungsgrund sozusagen, wird permanent durch die Gesellschaft ermittelt. Er ergibt sich aus dem Wohlstand einer Gesellschaft, der Bedrohung, die ihm von innen und außen droht und dem daraus abgeleiteten Potenzial an Freiheit, das jedem einzelnen zugestanden werden darf. Die größte Einengung erleben die Menschen im Krieg, denn sie haben rund um die Uhr im Sinne der Masse zu funktionieren. Ihre größte Freiheit genießen sie dagegen in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs und eines weltweiten Bemühens um Verständigung.

Freiheit oder erzwungene Anpassung gehen mit Erfolg und Misserfolg einer Gesellschaft einher. Fliehen Menschen aus einer Gesellschaft, wird sie Mauern errichten. Leisten sie Widerstand, wird sie ihre Bürger überwachen. Die Grenzen der Staatsgewalt verschieben sich je nach politischer und wirtschaftlicher Ausrichtung. Doch Grenzen gibt es in jeder Gesellschaft sowie auch erzwungene Anpassung. Werden Werte, die eine Gesellschaft ausmachen, nicht freiwillig eingehalten, wendet jeder Staat Gewalt an. Dabei greift er zu Mitteln, die seine eigenen Werte widerspiegeln: Einsatz von Provokateuren, Polizeigewalt, Aushebelung von Rechten. All das, um übergeordnete Werte zu schützen, die eine Gesellschaft willkürlich definiert. Manchmal geht es auch einfach nur um das Ansehen des Staates und seiner Repräsentanten auf der Weltbühne.

Damit öffnet sich eine neue Ebene von Werten: Sie sind der Repräsentanz einer Gesellschaft, dem Staat, zugeordnet und überstrahlen alle anderen Werte. Das Individuum muss zurückstehen und sogar die Masse verliert ihre Macht. Der Staat hat sozusagen Administratoren Gewalt und darf jederzeit in das Betriebssystem eingreifen. Das bedeutet, er verändert die Spielregeln.

Dienstag, 31. Januar 2023

Die Masse kreiert Werte aus dem kollektiven Strom

 

Einer Discokugel nicht unähnlich, fließt der kollektive Strom durch eine Gesellschaft und transportiert seine Werte
Werte bilden das Gerüst eine Gesellschaft. Aber eines, dass oft erweitert und umgebaut wird. Dadurch ist es nur bedingt verlässlich. Deshalb prallen verschiedene Generationen aufeinander. Sie leben nach unterschiedlichen Werten. Sicher gibt es Überschneidungen, aber ebenso gewaltige Unterschiede. Die sind auf die Trends zurückzuführen, kreiert von der Masse aus dem kollektiven Strom.

Die Kulturindustrie ist ein wichtiger Partner bei der Vermittlung von Werten

Auch Massen sind zu differenzieren. Sie setzen sich fortlaufend neu zusammen. Dabei gibt es zwei Hauptgruppe von Massen: welche, die sich bewusst zusammen finden und Massen, die sich zufällig ordnen. Oft erfüllen Massen auch beide Voraussetzungen. So sind die Mitglieder einer Partei eine organische Masse, auch wenn sie sich nicht immer einig sind. Doch sie agieren nach einheitlich Regeln und Werten. Dagegen sind die Besucher eines Konzerts zwar eine Masse, die sich zu einem bestimmten Zweck zusammengefunden hat, aber sie haben außer dem Musik Geschmack nichts gemeint. Nur im Konzert selbst agieren die Besucher als Masse, die schon in der Pause zerfällt.

Das Wesen der Masse ist ihre Unbeständigkeit. Das liegt daran, weil die Masse selbst keine Werte vertritt. Sie ist Empfänger und Übermittler von Werten, die ihren Angehörigen vertraut sind. Zum einen schöpft sie aus dem kollektiven Strom, darüber hinaus nimmt sie Werte einzelner Menschen auf und verbreitet sie innerhalb der Gruppe. Dabei ist wiederum die Kulturindustrie ein wichtiger Partner bei der Vermittlung von Werten. Sie ermöglicht es, dass kleine Gruppen und sogar einzelne Werte setzen können, solange sie sich bei ihr Gehör verschaffen. Doch auch diese Werte fallen natürlich nicht vom Himmel, sondern sind Fundstücke aus dem kollektiven Strom.

Erinnerung ist eine wichtige Eigenschaft des kollektiven Stroms. Er bewahrt, was war, über einen sehr langen Zeitraum. Seine Speicher sind Aufzeichnungen, fossile Ablagerungen, klimatische Rückstände, mündliche und kulturelle Überlieferungen, Bilder, archäologische Funde, Kunst und Experimente. Das Zusammentragen der menschlichen Herkunft schärft den Blick auf Werte und dokumentiert deren Entwicklung. Besonders in der Bestrafung bei Überschreitung von Werten blickt der Mensch auf sich selbst. Denn häufig sind es nicht die Werte, die sich verändern, sondern der Umgang mit Wertverlust. Diebstahl, Raub und Todschlag wurden schon immer bestraft. Doch heute werden Motivation und Verfassung des Täters berücksichtigt. Es gibt Hoffnung für ihn. Auch hier zeigt sich der gesellschaftliche Blick auf Minderheiten, der Gründe für Nachsicht und Förderung sucht. Früher wurden Randgruppen auf die ein oder andere Weise aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Im Moment geht es um Schutz und Integration.

Heute ist Gewaltfreiheit ein hoher Wert

Dieser Wertewandel war ein langer Prozess, der viele Opfer gekostet hat. Auf das Extrem des Völkermords folgt ein Schutzrecht für alle Menschen. Gerade kommen so wenig Menschen die noch nie in der menschlichen Geschichte gewaltsam ums Leben. Bedeutet das, Werte wandeln sich von einem Ansatz, den Menschen zu zähmen und zu züchtigen, ihn regelrecht zu bekämpfen, um seine Seele zu retten, zu einer lebensbejahenden Freiheitlichkeit, die den Menschen per se als wertvolles Wesen betrachtet?

Der Mensch ist Nutznießer einer Entwicklung, die erst fast unmerklich, dann drastisch sein Leben verändert hat und weiter verändert. Das betrifft vor allem die Notwendigkeit des Lebens: die Arbeit für den Lebensunterhalt. Diese Arbeit macht heutzutage bei vielen nur noch einen Bruchteil der tatsächlichen Arbeitszeit aus. Selbst Geringverdiener arbeiten einen beträchtlichen Teil für Güter, die nicht unbedingt notwendig sind. In vielen Teilen der Welt können sich die Menschen über ihren notwendigen Lebensunterhalt hinaus viele Dinge leisten. Der Warenaustausch ist global organisiert, so dass die Verbraucher relativ gleichmäßig davon partizipieren. Damit entfällt ein wichtiger Grund für Gewaltanwendung. Wem genug zum Leben und darüber hinaus zur Verfügung steht, muss sich Dinge nicht gewaltsam beschaffen. Im Gegenteil: Gesellschaften, in denen die meisten Menschen immer weniger für ihren notwendigen Lebensunterhalt arbeiten müssen, erheben Gewaltfreiheit zu einem sehr hohen Wert, weil sie Sicherheit in der Dingwelt bietet, die alle Besitzer schützt.

Wieso kommt es trotzdem zu Gewalt? Abgesehen von grundsätzlich gewaltbereiten Menschen, die es in jeder Gesellschaft gibt, ist für einige Gewalt Teil ihrer für den Lebensunterhalt notwendigen Arbeit. Es lockt Reichtum, zum Beispiel im Drogen – oder Menschenhandel. In diesen Nischen besteht Nachfrage, entsprechend aktiv sind auch Lieferanten.

Werte müssen akzeptiert sein

Darüber hinaus entsteht Gewalt hauptsächlich aus ethnischen, religiösen sowie politischen Gründen. Ebenso zählt das Bestreben von Staaten dazu, Territorien und Einflussbereiche zu erhalten oder zu erweitern. Im weitesten Sinne sind auch dein Verteilungskämpfe, die sicherstellen, dass es innerhalb einer Gesellschaft ausreichend Güter und Arbeit gibt. Dementsprechend ist Gewalt Ausdruck ungleiche Verteilung auf verschiedenen Ebenen. Selbst ethnische und religiöse Konflikte zeigen Ängste innerhalb einer Gesellschaft vor Verlust der lebensnotwendigen Dinge. Gewalt dokumentiert Ungleichheit. Sie stellt einen Verlust von Werten dar, beziehungsweise ihre Anpassung an eine gewaltbereite Umgebung.

Werte erhalten ihre Gültigkeit durch die Akzeptanz der Menschen. So gesehen kann auch Gewalt einen Wert darstellen. Die Masse setzt die Werte durch ihr Verhalten.

Doch obwohl es möglich ist, Werte frei zu wählen, gibt der kollektive Strom nur diejenigen Werte frei, die der Entwicklung einer Gesellschaft nützlich sind. Das ist schwer zu verstehen. Ganz besonders mit Blick auf die beiden Weltkriege. Millionen Menschen starben und es gab unglaubliche Gräueltaten. Wie konnte es zu diesem Wertewandel kommen?

Samstag, 26. November 2022

Unfreiheit ist nicht die Abwesenheit von Freiheit

 

Menschen in uniformer Kleidung gehen, dem Betrachter den Rücken zugewandt, in Masse an einen nicht zu sehenden Ort
Neulich haben Schüler eines Gymnasiums über Unfreiheit geschrieben. Die Wahl der Textform blieb ihnen überlassen. Es kamen dabei Gedichte, Kurzgeschichten und Essays heraus. Doch es wurde immer die gleiche Art von Unfreiheit beschrieben: Die Unfreiheit durch einen repressiven Staat. Keinem einzigen Schüler kam es in den Sinn, zu fragen, wie tief Unfreiheit in den Alltag eingreift und was Unfreiheit für ein Leben ohne Zwang von außen bedeutet.

Auch bei meiner Recherche ist kaum etwas über Unfreiheit zu finden. Meist wird sie nur als Gegensatz zu Freiheit aufgeführt, über die sehr viel zu finden ist.

Was hat es auf sich mit der Unfreiheit, für die sich niemand zu interessieren scheint? Haben die Menschen Angst vor ihr oder fühlen sich tatsächlich alle frei?

Ist Freiheit die größte Unfreiheit?

Für Jean-Paul Sartre war Freiheit der Kern des menschlichen Wesens. Der Begründer des Existenzialismus ging davon aus, der Mensch erschaffe seine Natur durch das, was er zu tun beschließt. "Die Existenz geht der Essenz voraus", schrieb er und meinte damit eben dieses sich selbst definieren, nachdem man unwiderruflich in die Welt geworfen sei. Darin liege seine Freiheit. Für Sartre war sie die Grundbedingung des Menschseins. Andererseits schrieb er: "Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein."

Das klingt nicht besonders frei. Denn wenn der Mensch zur Freiheit verurteilt ist, zwingt ihn eine Instanz dazu, nämlich diejenige, die ihn verurteilt hat, frei zu sein. Dann aber wäre Freiheit, weil der Mensch frei sein muss, die größte Unfreiheit.

Vielleicht ist es andersherum: Der Mensch kann Unfreiheit überwinden, um frei zu sein. Dazu sollte er sich natürlich mit ihr auskennen.

Vom ersten Tag an konsumieren

Jedes Leben beginnt in Abhängigkeit. Es muss versorgt werden, weil es sich nicht selbst versorgen kann und bedarf der Ansprache, um sich geistig und sozial zu entwickeln. Darüber hinaus ist es frei, weil keine Erwartungen an es gestellt werden und es kein Wollen hat - außer dem der Erfüllung seiner körperlichen Bedürfnisse.

Die Notwendigkeiten des Überlebens sind von Anfang an da: Nahrungsaufnahme, Ausscheidung und Schlafen. Der Mensch braucht lange, bis er für sich selbst sorgen kann. Aber zu seinem Wohlergehen muss er von Beginn seines Lebens an konsumieren. Möglicherweise ist das der Urgrund, warum Menschen später auch zu ihrem Vergnügen konsumieren. Weshalb es ihnen gutgeht, wenn sie sich Dinge aneignen können.

Jedenfalls lebt der Mensch in einer von ihm erschaffenen Welt der Dinge. Selbst die Natur wird inzwischen von ihm gestaltet oder umgestaltet. So werden zum Beispiel Bäume als Bonsai oder Gartenzierde zu Dingen, die der Mensch sich aneignet wie Kleidung, Möbel und Fortbewegungsmittel. 

Ist es ein Zeichen von Freiheit, dass er seine eigene Welt gestaltet? Ja und Nein. Bei vielem, was der Mensch tut, gibt es zwei Seiten derselben Medaille. Ein Haus bauen und einen Garten anlegen ist selbstverständlich ein Ausdruck von Unabhängigkeit, von Freiheit. Aber wenn gebaut und anlegest ist - was dann? 

Ein Sisyphus der Neuzeit

Der Mensch wird zum Sklaven seiner eigenen Freiheit. Denn sobald er aus freien Stücken ein Ding herstellt oder erwirbt, muss er es auf Dauer pflegen. Er kann es nicht sich selbst überlassen. So führt jede Entscheidung, die er trifft, zu einer Einengung und damit zur Verminderung seiner Freiheit.

Entscheidungen sind so eine Sache. Menschen treffen sie tausendfach am Tag. Die meisten sind Routine und lenken das Leben weitgehend unbemerkt. Andere begleiten einen Menschen tage-, einige sogar jahrelang. Der Kauf eines Autos beispielsweise oder die Erfüllung eines langgehegten Traumes. 

Das Gehirn produziert Bilder und Vorstellungen, Gefühle, mit denen es vorwegnimmt, wie es sein könnte, wenn jemand endlich bekommt, was er sich sehnlichst wünscht. Es drängt auf eine Entscheidung und verspricht dafür Glückseligkeit.

Doch was sind Entscheidungen? Verzweigungen im Netzwerk der Möglichkeiten. Am anschaulichsten zu beobachten bei einer Partie Schach. 

Glücklicher Zufall

Vom ersten Zug an müssen die Kontrahenten Entscheidungen treffen. Dabei erhöht sich oberflächlich betrachtet die Zahl der Möglichkeiten, je weiter ein Spiel voranschreitet. Doch da beide Spieler Pläne verfolgen, scheiden viele Züge von vornherein aus. Zudem ist bewiesen, seit Computer Schach bis zur Perfektion analysieren, dass es tatsächlich jeweils nur wenige gute Züge gibt. Also sind theoretisch zwar ein Haufen Möglichkeiten vorhanden, praktisch jedoch führen die meisten von ihnen zur Niederlage.

Allerdings - und jetzt wird es kompliziert - muss die Unzulänglichkeit des menschlichen Gegenübers berücksichtigt werden. Er könnte nicht in Spiellaune oder abgelenkt sein oder einfach ein miserabler Spieler. Die Psyche vergrößert die Möglichkeiten enorm, denn eigene Fehler wirken sich vielleicht gar nicht oder zumindest weniger aus. Darüber hinaus steigert ein schwacher Gegner die eigene Selbstsicherheit, so dass es plötzlich leichter wird, Entscheidungen zu treffen, weil die meisten dieser Entscheidungen aufgrund der günstigen Spielsituation nicht falsch sein können, selbst wenn sie es in einer objektiven Analyse eventuell wären.

Diese Erweiterung von Möglichkeiten bezeichnen die Menschen als glücklichen Zufall oder einfach Glück. Was nichts anders heißt, als dass weitgehend ohne ihr Zutun eine günstige Entscheidung für sie getroffen wurde - durch die Ziehung der richtigen Losnummer oder weil ein anderer in einer kritischen Situation gut reagiert und einen Unfall vermeidet.

Die Dingwelt lenkt die Geschicke der Menschen

Das interessante an Möglichkeiten ist, dass jede Entscheidung für eine Möglichkeit  tausende neuer nach sich zieht. Gleichzeitig realisieren sich tausend andere nie. Wie finden sich Menschen in diesem Wirrwarr zurecht? Indem sie die allermeisten Möglichkeiten nicht wahrnehmen. Denn selbstverständlich überlegt niemand bei jedem Schritt, wohin er seinen Fuß setzen könnte. Er entscheidet sich für eine Richtung und geht los, ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen. Durch dieses großteilige Denken reduziert sich die Anzahl der täglich bewussten Entscheidungen auf vielleicht ein paar Dutzend. Überschaubar.

Der Rest geschieht als Handlungen aus einem generellen Wollen. Wer sich setzen will, muss sich einen Stuhl nehmen und überlegt nicht, ob er ihn mit der rechten oder linken Hand anfasst, an der Lehne zieht oder ihn anhebt. Das ergibt sich aus der Entscheidung, sitzen zu wollen sowie der Lage und Schwere des Stuhls. 

Die Dingwelt beeinflusst das menschliche Sein durch die Informationen, die sie ständig übermittelt. Ist die Waschmaschine defekt, muss eine Entscheidung her: Kann sie repariert oder muss eine neue gekauft werden? So lenken die Dinge, die der Mensch erschafft, nach ihrer Entstehung seine Geschicke. Es scheint sogar, dass der Mensch seine Freiheit aufgibt, indem er die Dingwelt herstellt. 

Wie funktioniert das? Was hat er davon?

Planlose Schöpfer

Hannah Arendt schreibt, das Geschenk der Schöpfung an den Menschen sei die Freiheit. Falls dies zutrifft, gehen die Menschen nicht gut um mit diesem Geschenk. Sie verbauen sich ihre Freiheit mit Dingen, die sie ihre Welt nennen, die aber nur der materielle Ausdruck von Fantasien und Wünschen sind. 

Der Mensch hat die Welt nach seiner Vorstellung gestaltet. Aber er hatte dabei keinen Plan.

Vielleicht ist es ein Naturgesetz, dass sich alles entwickelt, indem jede sich bietende Möglichkeit zur materiellen Verbesserung der Lebensumstände genutzt wird. Ähnlich der Entwicklung von einem geordneten Zustand zur Entropie. Immerhin ist es vorstellbar, dass die Epoche der Urmenschen geordneter verlief als das sogenannte Anthropozän, also das Zeitalter des Menschen, heute.

Wohlstand und relative Sicherheit, in denen ein Großteil der Menschen aktuell lebt, erkauft sie sich auf Kosten ihrer Freiheit. Mussten die Urmenschen nur für ihren notwendigen Lebensunterhalt arbeiten, haben die modernen Menschen weitaus mehr Verpflichtungen.

Die Dinge fordern ihren Anteil am menschlichen Leben

Die Menschen nennen es Freiheit, wenn sie sich mit Dingen umgeben können, wenn sie überall erreichbar sind, täglich dutzende von Nachrichten empfangen und versenden. Doch mit jedem Ding, das sie erwerben, gehen sie eine neue Verpflichtung ein. Wieviele Dinge sind wirklich notwendig - und wieviele Dinge besitzt jeder Mensch?

Ein durchschnittlicher Europäer hat angeblich 8000 bis 10000 Dinge zu Hause. Noch vor 100 Jahren sollen sich nur ungefähr 180 Dinge in einem deutschen Haushalt befunden haben. Woher diese Zahlen stammen, weiß niemand. Das Statistische Bundesamt dementiert, sie herausgegeben zu haben. Einen netten Artikel dazu hat Der Standard aus Österreich veröffentlicht.

Ganz gleich, mit wie vielen Dingen ein Mensch sich umgibt, sie fordern ihren Anteil an seinem Leben. Wer ein Sofa kauft, muss es von nun an sauber halten pflegen, später reinigen und reparieren. Er kann nicht einfach die Wohnung wechseln, weil dann das Sofa nicht mehr passt. Irgendwann muss es entsorgt werden. So sehr es wahrscheinlich hübsch und gemütlich ist, verlangt es doch eine gewisse Aufmerksamkeit und engt damit die Freiheit seines Besitzers ein.

Das gilt für alle Dinge. Je mehr ein Mensch davon hat, desto weniger Freiheit bleibt ihm.

Die Frage lautet: Empfinden das die Menschen oder fühlen sie sich inmitten all der Dinge, für die sie sorgen müssen, trotz allem frei? Sind Freiheit und Unfreiheit für jede Generation neu zu definieren, weil die Bedürfnisse der Menschen sich verschieben?

Die einzige Freiheit, die der Mensch wirklich hat

Nein, nicht nur das, sondern auch, weil sie keine andere Welt kennen, außer der, in die sie hineingeboren werden. Die Welt der Dinge prägt die Menschen - oder genauer: Die Welt der Dinge, die von den Menschen vor ihnen geschaffen werden, prägt die jeweils neue Generation. 

Nebenbei wird auch der Begriff von Freiheit und das Gefühl von einem freien Leben übertragen. Was also heute Freiheit genannt wird, wäre in früheren Zeiten unter Umständen eine Verrohung der Sitten gewesen - oder schlimmeres. Es hängt ausschließlich davon ab, wie wir selbst unser Leben in der Gesellschaft bewerten: Frei oder unfrei.

Beides sind äußerst dehnbare Begriffe, die im Grunde nichts aussagen. Es gibt weder Freiheit, noch Unfreiheit, sondern nur die Freiheit von etwas, beziehungsweise die Unfreiheit in etwas.

Wir alle sind als Menschen unfrei in unserer Natur und in der Dingwelt, die wir uns selbst erschaffen. Doch ob wir unser Leben als frei oder unfrei empfinden, bleibt uns selbst überlassen.

Möglicherweise ist das die einzige echte Freiheit, die wir überhaupt haben: Zu entscheiden, wie wir mit unserer naturgegebenen und gesellschaftlich aufgezwungenen Unfreiheit umgehen.